SGA/ALEXA: Healing Memories – Teil 2

Unentwegt hatte Dave am Fußende des Bettes, in dem sein Bruder lag, gestanden und betrachtete ihn gedankenverloren. Gelegentlich wechselte er mit seinen Eltern einige Worte.

Er teilte ihre Sorgen und Gedanken, aber auch ihre Hoffnungen, dass McKay und dieser Antiker diese Gerätschaften, von denen sie sprachen, zum Laufen bringen konnten, vor allem aber, dass sie hilfreich seien.

Immer wieder fragte er sich, ob John schon öfter in einem solchen Zustand gewesen war. Wenn er nun die hiesigen Ärzte fragen würde, würde er vermutlich keine Antwort erhalten. Sei es aus ärztlicher Verschwiegenheit oder der Geheimhaltung oder einfach nur, weil sie keine Zeit für ihn und seine Fragen hätten. Vielleicht waren es ja die Geräte, die McKay und dieser Dorian beibringen wollten, die ihm, seiner Mutter und auch seinem Vater einige Fragen beantworten und Einblicke in Johns Vergangenheit gewähren würden. Das würde seinem Bruder zwar nicht gefallen, doch er hoffte, dass er dennoch die Chance nutzen und sich helfen lassen würde. Doch es würde für denjenigen, der mit ihm in Verbindung treten wollte, ein schweres Unterfangen sein.

Wenn John etwas wirklich gut konnte, dann war es die Leute auf Abstand halten, sich abschotten und wie nannte es seine Mutter? Mauern.

Er fragte sich, wie es wohl dieser Alexa gelang, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Doch gleich zeitig kam ihm in den Sinn, dass sie als eine Außerirdische galt, die zudem auch noch viel weiter entwickelt war. Sie hatte die Fähigkeit, in die Herzen und Seelen der Mensch zu blicken. Vielleicht stimmte auch die Theorie seiner Mutter, dass es etwas zwischen John und Alexa gab, dessen sie sich selbst nicht bewusst waren.

Das war typisch für seinen Bruder. John hatte noch niemals Schwierigkeiten bei den Frauen. Schon als Teenager liefen ihm die Mädchen nach. Jetzt hatte er seinen Charme offenbar so weit geschult, dass er sogar außerirdische Schönheiten bezirzen konnte. Vielleicht hatte er ihr deswegen erlaubt, hinter diese Mauer zu sehen.

Ein kleines Lächeln huschte daraufhin über Daves Gesicht.

Vielleicht war aber auch etwas zwischen den beiden, dass weder sie selbst noch andere verstanden, geschweige denn erklären oder nachvollziehen konnten. Eine mysteriöse Verbindung zwischen zwei Personen. Carols zweite Theorie.

Vermutlich war es Johns sturer Verstand, der sie eine Menge Kraft gekostet hatte sodass sie schlussendlich zusammenbrach.

Dave registrierte gar nicht, wie sein Blick von seinem Bruder zur Antikerin wanderte.

Noch immer saß der außerirdische General bei ihr, ließ seinen Blick nicht von ihr und hielt ihre Hand.

Je mehr Dave diese Leute beobachtete, desto mehr war er überzeugt, dass zwischen ihrer beider Völker kaum, bis gar keine Unterschiede existierten. Sie waren sich in so vielerlei Hinsicht ähnlich, dass er Daniels Erklärung, die Menschen seien die zweite Entwicklungsstufe dieser Rasse, mehr Glauben schenkte als zuvor.

„Sie ist noch nicht wieder erwacht?“, fragte er Dave und riss den General aus seinen Gedanken.

„Nein. Es kann vermutlich Stunden dauern.“

„Wahrscheinlich … wahrscheinlich hat es sie zu viel Kraft und Konzentration gekostet, in Johns Verstand zu kommen. Er kann manchmal ein richtiger Sturkopf sein.“

„Ihrer Aussage zufolge gehe ich davon aus, dass er wohl des Öfteren in solche Schwierigkeiten gerät.“

„Tja, davon gehe ich mittlerweile auch aus. Bis vor kurzen hielt ich Atlantis für einen Mythos. Eine Sage aus lang vergessener Zeit. Und von Verschwörungstheorien über Außerirdische habe ich noch nie viel gehalten. Jetzt werde ich wohl eines Besseren belehrt.“

„Ihr Bruder hat niemals mit Ihnen über seine Tätigkeit gesprochen?“

„John? John und über etwas sprechen? Wenn unsere Eltern nicht von den Toten auferstanden wären, würde ich von alldem hier immer noch nichts wissen.“

Tristanius nickte, sein Blick jedoch war noch immer auf seine Tochter gerichtet.

„Wie geht es Ihrem Bruder?“

„Unverändert. Ich hoffe aber, dass die Idee Ihres Sohnes und Doktor McKay funktioniert.“

„Wir werden sehen.“

~~~///~~~

Nur wenige Minuten waren vergangen, als Rodney und Dorian mit ihren Geräten und Computern die Krankenstation betraten.

„Sind Sie etwa schon fertig?“, kam es überrascht von Carol, die den beiden Wissenschaftlern entgegen kam.

„Ja, ich denke, das sind wir. Wir schließen alles an, nehmen die nötigen Einstellungen vor und dann … muss sich nur noch entscheiden, wer die Reise in Johns Kopf unternehmen will.“

„Das werde ich tun“, antwortete Carol dem Kanadier, doch Patrick war anderer Meinung.

„Nein, nein, ich tue es.“

„Aber …„

„Carol, ich weiß, was Du sagen willst. Du bist seine Mutter und … Du hast wohl auch mehr Erfahrung in solchen Dingen-„

„Ja, aber … Dein Herz.“

„Carol, ich bitte dich … meinem Herz geht es besser denn je. Lass es mich versuchen. Ich habe heute mit John reden wollen und … es ging wieder nach hinten los. Wir haben uns schon wieder in eine Sackgasse verrannt und … Wenn das nicht funktionieren sollte, dann … möchte ich wenigsten noch einmal … endgültig … Carol, ich bitte Dich …“

Enttäuscht aber doch ihren Mann verstehend, willigte Carol schließlich doch ein.

„Schön, dann muss ich nur noch wissen, was ich zu tun habe.“

„Das ist im Grunde ganz einfach. Sie legen sich hin und die das Gerät übernimmt den Rest“, kommentierte Rodney.

„Na, ich glaube ein wenig mehr wird schon von Dir gefordert. Du musst dich entspannen und Du musst alles andere hinter dir lassen. Du darfst Dich nur auf John konzentrieren. Außerdem vermute ich, dass Du einige Schwierigkeiten bekommen wirst. Du weißt, wie stur John sein kann. Es könnte möglich sein, dass er nicht zulässt, dass Du-„

„Dass er mich nicht in seinen Verstand lässt? Dass er mich ausschließt, vielleicht sogar bekämpft? Das kenne ich schon. Aber diesmal werde ich es ihm auch nicht leicht machen. Und wenn ich ihn an seinen Ohren packen muss.“

 ~~~///~~~

Ein Stöhnen entwich Alexa, was Tristanius sofort aufmerksam werden ließ.

„Alexa?“, sprach er leise zu ihr und bemerkte, wie sie sich gegen das grelle Licht und die lauten Geräusche in ihrer Umgebung zu schützen versuchte.

Nachdem Tristanius die Deckenbeleuchtung über ihrer Liege etwas dimmte, verabreichte er ihr das Serum und konnte kurz darauf beobachten, wie sich ihr Zustand langsam verbesserte.

„Alexa?“

„Pa?“

„Ja, ich bin da, Schatz. Gleich ist es vorbei. Ich habe dir das Serum gegeben.“
„Wie lange … war ich … weg?“

„Etwa eine Stunde.“

„John?“

„Bitte?“

„Was ist mit John … Colonel Sheppard?“

Nun musste der General sich doch etwas wundern, dass Sheppard’s Zustand seiner Tochter wichtiger war, als ihre eigene Verfassung. Auch wenn sonst immer ihre Sorge und ihre Gedanken zuerst den anderen galten, so machte es ihn stutzig. Alleine die Tatsache, dass sie ihn beim Vornamen nannte. Dass hatte sie noch nicht einmal bei Darius getan. Zumindest nicht am Anfang. Es musste offenbar schon eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen herrschen. Sorgenvolle Gedanken machten sich in breit, doch Alexa vertrieb sie schnell wieder.

„Pa?“

„Sein Zustand ist unverändert.“

„Ich muss zurück. Ich muss … ihm helfen. Er hat nicht verstanden … was er …“

„Sein Vater kümmert sich darum. Du wirst dich ausruhen.“

„Sein Vater? Wie?“

„Doktor McKay und Dorian haben sich da etwas einfallen lassen. Die Erde ist im Besitz eines Gerätes, das es ihm ermöglicht, in das Unterbewusstsein seines Sohnes zu gelangen. Dorian hilft mit unserem Visualisierungsgerät.“

„Ich muss trotzdem …“

Mühsam erhob sich Alexa schwang die Beine über den Rand der Liege und wollte aufstehen.

„Ich denke, es ist besser, wenn du noch ein wenig …“ Tristanius hatte Alexa gerade noch so halten können, als sie drohte, in die Knie zu sacken, „liegen bleibst. Warum hörst du denn niemals auf mich?“, fragte er mit liebevoller Stimme, während er sie noch immer in einer Umarmung festhielt.

„Ich kann nicht.“

„Was kannst du nicht? Auf mich hören? Das tun, was ich sage, oder …„

„Hier bleiben. Er wird mich vielleicht brauchen.“

„Mag sein. Aber wenn sie dich brauchen, werden sie dich rufen und solange möchte ich, dass du liegen bleibst.“

Mit einem ablehnenden Kopfschütteln löste sich Alexa aus der Umarmung und dem sichernden Griff ihres Vaters und taumelte los.

„Oh, Ihr Erleuchteten, schenkt mir Nerven für dieses Kind!“

 ~~~///~~~

Nachdem Dorian und Rodney mit Jennifer und Elishas Hilfe John mit den Geräten verbunden hatten, eine weitere Liege hereingebracht wurde und die nötigen Einstellungen vorgenommen hatten, war es an Patrick, sich auf das kommende zu konzentrieren. Doch es gelang nicht so recht, denn Dorian und Rodney mussten noch einiges erklären.

„Also das Gerät der Erde ermöglicht es Ihnen, einen Zugang zum Unterbewusstsein Ihres Sohnes zu finden. Das kann allerdings auf verschiedenste und zugegebenermaßen, auch wahrscheinlich auf bizarrste Weise geschehen. Es kann sein, dass sich Ihnen ein völlig unrealistisches Bild, eine unwirklich erscheinende Welt offenbart. Das kann Sie verwundern, verwirren, vielleicht sogar ängstigen und schockieren.“

„Ja, am besten Sie konzentrieren sich allein auf Ihre Aufgabe.“

„Was Dorian und Rodney damit sagen wollen, du betrittst das Unterbewusstsein eines anderen Menschen, Patrick. Du wirst dort Dinge sehen, die sich in Johns Leben einen Platz verschafft haben. Doch es ist wie bei vielen anderen Menschen keine bestimmte Ordnung, oder kein gerader Weg zu erkennen. Nichts gehört zum anderen. Die Dinge verschmelzen miteinander. Es kann dort ebenso Chaos herrschen. Das allerdings, wird womöglich erst in dem Stadium geschehen, wenn er dich an sich heran lässt.“

„Sie meinen wohl eher, wenn er ihn herein lässt“, kommentierte Rodney und wurde daraufhin von Jennifer schief angesehen.

„Ja. Ich weiß nicht, wie es aussieht, wenn es darum geht, dir Zugang zu verschaffen. Du weißt er mauert. Vielleicht verbildlicht sich diese Mauer in seinem Unterbewusstsein. Du musst einen Weg finden, sie zu überwinden oder einen kleinen Durchgang finden. Vielleicht findest Du dort auch eine …“

„Tür“, unterbrach sie die Stimme Alexas aus dem Hintergrund.

„Sie sind wieder wach?“

„Gerade eben“, antwortete sie und begann zu taumeln, was Tristanius erneut dazu brachte, sie zu halten und zu stützen.

„Ich sagte, du solltest liegen bleiben.“

„Es geht mir schon besser, wirklich.“

„Ja, das ist nicht zu übersehen …“

„Als ich mit John in Verbindung trat, herrschte zuerst … Dunkelheit, dann entdeckte ich diese Mauer … kurz darauf auch eine Art Tür. Erst als ich ihn bat, mich hereinzulassen, öffnete sie sich. Dahinter war der Gateraum … mit einer aktiven Stargate-Verbindung. John wird dort im Gateraum irgendwo sein … ich glaube, er fürchtet sich davor, durch das Gate zu gehen, aber ich bin mir … nicht sicher, warum. Möglicherweise … werden Sie das Gleiche sehen. Sie müssen ihn dazu bringen, sich an andere, unangenehme Dinge zu erinnern.“

„Ich weiß. Ich danke Ihnen. “

Ein langer, aber intensiver Blick zu Carol folgte. Noch einmal drückte er ihre Hand, bevor er sie zärtlich küsste.

„Mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich darum, dass er das übersteht. Ich werde ihm schon Beine machen … und wenn es das letzte ist, was ich tue. Ich bin nicht zurückgekommen, um ihn sterben zu sehen.“

„Rick … bitte sei vorsichtig. Du kennst John. Auch wenn er ein Soldat ist, er hat auch sensible Seiten. So wie ich ihn einschätze, liegen sie ganz tief in ihm verborgen. So wie seine Erinnerungen. Du musst darauf achten und behutsam vorgehen. Manchmal bringen harte Worte nichts.“

„Ich verspreche es dir … es wird schon alles gut gehen“, entgegnete Patrick und legte sich dann auf die Liege.

„Doktor Keller wird Ihnen ein leichtes Sedativ verabreichen. Es wird sie in einen schlafähnlichen Zustand versetzen. Dennoch werden Sie in der Lage sein, Informationen unsererseits zu verstehen und zu verarbeiten. Ihre Körperfunktionen werden ebenfalls genauestens überwacht. Wir werden alles sehen und hören, was Sie und Colonel Sheppard sehen“, erklärte Dorian.

„Werde ich … wird das … „

„Sie werden nichts spüren. Sie werden keine Schmerzen haben“, beantwortete Dorian seine unsichere Frage.

Jennifer hatte den Zugang für das Sedativ gelegt und es floss auch schon gemächlich in Patricks Blutkreislauf, als sich langsam seine Augen schlossen.

~~~///~~~

-Wie erwartet, tauchte Patrick in eine schwarze Masse ein, die ihn im ersten Moment frösteln ließ. Nichts greifbares, nichts fühlbares, nichts, dass er irgendwie mit seinen Sinnen wahrnehmen konnte und doch schien es irgendwo eine Lichtquelle zu geben, die es ihm ermöglichte, sich selbst zu sehen, als er an sich herabblickte.

Die ersten paar Schritte irritierten und verunsicherten ihn, denn er war es gewohnt, stets den Boden unter seinen Füßen zu sehen und auch zu spüren. Mehr noch, er war es gewohnt, einen Weg vor sich zu haben. Aber jetzt konnte er weder etwas sehen, noch etwas spüren, außer dieser Kälte.

Doch er hatte keine Zeit, sich lange damit zu beschäftigen. Es galt einen Eingang zu finden, den er auch wenige Momente später vorfand. Groß, schwer und hölzern fand er die von der Antikerin beschriebene Tür vor, auch die daran grenzende Mauer konnte er erkennen.

„John! … John! … Kannst du mich hören? John, ich bin es! Dein … dein Vater! … John?“

Kein Ton war zu hören, keine Regung war irgendwie, irgendwo auszumachen, keine Reaktion erfolgte, die ihm verriet, ob er hier richtig war, oder ob seine Bemühungen um sonst seien. Doch andererseits konnte er nur hier richtig sein. Es war die von der Antikerin und Carol beschriebene Mauer und auch die Tür, ein möglicher Eingang war da, also wollte er auch nicht so schnell aufgeben.

„John? Junge, hier ist dein Vater. Ich … ich bin hier, hörst du? … John!“

Immer wieder versuchte Patrick die Tür zu öffnen, doch sie war verschlossen. Allmählich stieg seine Frustration.

„Herr Gott noch mal! John! … John, ich will mit dir reden. Jetzt mach´ endlich die Tür auf. Ich will dir doch nur helfen! … John! du bist krank und brauchst Hilfe. Ich bitte dich, John.“

Immer wieder stemmte sich Patrick gegen die Tür, in der Hoffnung, sie würde sich bewegen und sich öffnen lassen.

„Verdammt nochmal, John! Mach endlich die verdammte Tür auf!“, kaum ausgesprochen oder besser gesagt geschrien, bereute er seine Worte. Seine Frau hatte ihn um Behutsamkeit gebeten und er schien wieder einmal die Nerven zu verlieren.

„John, jetzt hör mir bitte zu … ich weiß, dass du nicht gerade begeistert bist, dass ich … ich kann mir vorstellen, dass du verwirrt bist. Vielleicht hast du auch Angst. Ich bin hier, um dir zu helfen. Versuch dich bitte zu erinnern. Alexa war vorhin hier, erinnerst du dich? Sie hat dir gesagt, dass du sehr krank bist und dass du Hilfe brauchst. John, ich bin hier, um dir zu helfen. Also lass mich bitte rein.“

Noch immer tat sich nichts. Patricks Kopf sank gegen die Tür.

Wie sollte er seinem Sohn helfen, wenn dieser absolut nicht gewillt ist, ihn an sich heranzulassen, wenn er ihm keinen Zugang zu seinen Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen gewährte?

Aber vielleicht war es genau das, was ihn doch noch in sein Unterbewusstsein lassen würde.

„John … ich weiß, dass du nicht mit mir gerechnet hast. Eigentlich wäre Alexa wieder hier, aber … sie kann nicht herkommen. Sie ist … ausgefallen. Sie ist krank, John. Hörst du? Sie hatte wieder diese Schmerzen und … sie braucht dich. John, du bist wirklich sehr krank. Du kannst ihr nicht helfen, wenn du … du liegst da draußen in Koma und sie braucht dich … Und was ist mit Deiner Mutter? Und Dave? Sie kommen vor Sorge fast um. Ich bitte dich John, lass mich rein. Ich will nur mit dir reden. Ich … ich verspreche dir, ich werde nur zuhören. Ich werde nichts sagen. Aber du musst mich rein lassen.“

Patrick verließ nun doch die Geduld. Er begann, sich immer energischer gegen die Tür zu stemmen und sie durchbrechen zu wollen.

„Ich werde nicht aufgeben, John! Ich werde so lange hier stehen und dir auf die Nerven gehen, bis du mich rein lässt oder diese Tür nachgibt. Wenn du glaubst, dass ich zusehe, wie du da draußen vor die Hunde gehst … John! Ich flehe dich an!“

Es hatte lange gedauert und Patrick eine Menge Nerven und Geduld gekostet, bis er endlich die Tür öffnen konnte und auch dort war, wie man es ihm beschrieben hatte, der Gateraum zu finden. Auch das Stargate war noch immer aktiviert. Aufmerksam sah sich Sheppard Senior um, versuchte John zu finden.

„Was machst du hier?“, ertönte seine Stimme aus einem dunklen Korridor an der Seite des Gateraumes.

„Ich will dir helfen.“

„Mir helfen?“

„Hast du es etwa vergessen?“

„Was soll ich vergessen haben?“, fragte John leicht verwirrt, als er aus der Dunkelheit trat.

„Du hast es vergessen … du warst heute Morgen auf einem Planeten und du hast dich an einer Pflanze verletzt. Diese Pflanze hat dich mit etwas infiziert, dass … das sehr gefährlich ist. John, dein Leben ist in Gefahr.“

Patrick sah, wie es in John arbeitete, doch noch immer schien sich seine Verwirrung nicht zu legen.

„Alexa war doch hier und hat dir das alles erklärt und …“

„Alexa! Was ist mit ihr? Wo ist sie?“

„Sie hatte einen dieser Schmerzanfälle … kurz, nachdem sie hier war. Erinnerst du dich denn nicht?“

„Ich weiß noch, dass sie hier war. Aber dann war sie wieder verschwunden.“

„Ja, sie hatte diese Attacke. John, sie hat dir doch gesagt, was du tun musst.“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, entgegnete John und machte sich daran, wieder zu gehen.
„Einen Moment, so schnell kommst du mir nicht davon. Du weißt sehr gut, wovon ich rede. Du bist krank und du wirst … sterben, wenn wir nichts unternehmen.“

John zeigte keine Reaktion. Stattdessen drängte er sich an seinem Vater vorbei und wollte ihn einfach stehen lassen. Patrick jedoch wollte nicht aufgeben und stellte sich ihm erneut in den Weg.

„John, du liegst da draußen schon in Koma. Dieser Erreger hat deinen ganzen Körper befallen, sogar dein Gehirn. Doktor Keller und Elisha haben alles probiert, aber nichts hat funktioniert. Aber sie sind dahinter gekommen, dass eine bestimmte Art von Endorphinen für das Wachstum des Erregers verantwortlich ist, während ein anderes Endorphin vielleicht sogar eine Vernichtung des Erregers bedeuten kann. Aber dieses Endorphin, wird nur dann produziert, wenn du träumst oder dich erinnerst.“

„Ich träume doch und ich erinnere mich auch.“

Das mag sein, doch werden nicht die Endorphine ausgeschüttet, die den Erreger bekämpfen. Die Art deiner Träume und Erinnerungen ist entscheidend. Das hat Alexa versucht dir zu vermitteln, als sie verschwand. Du musst dich an anderes erinnern.“

John schüttelte energisch den Kopf. „Das ist verrückt.“

„Jetzt … John, hör mir zu. Ich weiß, dass es nicht einfach für dich ist … das es viel ist, das verlangt wird, aber wenn du das überleben willst, dann musst du da durch. John, dein Zustand da draußen … in der Realität, ist sehr ernst. Die Ärzte geben dir nur noch wenige Stunden. Deine Mutter ist fast krank vor Sorge, Dave kaut sich die Nägel bis aufs Fleisch ab. Deine Kollegen und Freunde da draußen rennen im Dreieck und Alexa … sie hat mir trotz ihres Zustandes erklärt, wie ich eine Verbindung zu dir aufbauen kann, wie ich hier her gelangen konnte. Sie kann sich kaum auf den Beinen halten und doch ist sie sehr besorgt um dich und riskiert ihre eigene Gesundheit. Der Antiker Dorian hat bei seinem Vater durchgesetzt, dass eines ihrer Maschinen … Geräte mit einem der Erde verbunden wird, damit ich hier her konnte. Glaubst du, sie machen das alles zum Spaß? John, ich … ich weiß, dass du mich nicht hier haben willst. Ich weiß, dass unsere Beziehung zueinander nicht einfach war und sie ist es noch immer nicht, aber …“

„Oh, mal ein wahres Wort. Nur zu schade, dass das Ganze jetzt offenbar noch im Koma weiter geht. Nicht mal da habe ich meine Ruhe.“

„Deine Ruhe? Ist das alles, was du willst? Ruhe? Wenn du so weiter machst, verspreche ich dir, dass du bald mehr als genug Ruhe haben wirst. John, du verreckst da draußen, verdammt nochmal! Denk doch mal nach und erinnere dich! Denkst du, ich lasse mir das alles einfallen? Denkst du, es macht mir Spaß, auf deine Mauer zu treffen und dich anzuflehen, dir helfen zu lassen? John, ich bin dein Vater und … wenn du glaubst, dass ich nur zurückgekommen bin, um zu sehen, wie du stirbst, wie du da draußen elendig zu Grunde gehst … hast du dich getäuscht. So habe ich dich nicht erzogen. Ich dachte du seist ein Kämpfer? Ich habe dir nicht beigebracht, bei dem erstbesten Problem das sich auftut, einfach so aufzugeben-„

„Du verstehst schon wieder nicht. Ich kann das einfach nicht. Ich … es ist vorbei. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was alles gewesen ist. Ich habe wirklich keine Lust, das alles wieder … durchzumachen. Es ist vorbei und vergessen.“

„Nichts ist vergessen! Dahinter wartet deine Heilung, deine Rettung!“, erklärte Patrick und wies auf das Stargate.

„Ach ja? Woher willst du das wissen? Ausgerechnet du!“

„Weil ich dein Vater bin! Auch wenn wir uns lange nicht gesehen haben, auch wenn wir uns auseinander gelebt haben, kenne ich dich noch gut genug, um zu erkennen, dass du nicht da durch willst.“

„Weil es vorbei ist. Es ist Geschichte! Aus und vorbei. Ich mache das nicht nochmal mit, wenn ich doch nichts verändern kann. Man kann nichts mehr ändern!“

„Also gibst du lieber auf und … akzeptierst den Tod. John, ich weiß, wie es ist, schlimme Dinge durchzumachen. Oder hast du vergessen, dass wir, du, dein Bruder und ich schon Schlimmes erlebt haben? Der Tod deiner Mutter war das … das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Eure Gesichter, als ich es euch sagen musste, wie sie da lag und … die Augen schloss, als wir sie beerdigt haben … diese Bilder vergesse ich nie und jetzt …“

„Jetzt ist Mom wieder da.“

„Ja, sie ist wieder da. Aber ebenso sind auch die Bilder noch präsent. So etwas vergisst man nicht. Niemals. Aber deine Mutter ist wieder da. Ich bin wieder da. Wir haben die Chance wieder zusammenzufinden, wieder eine Familie zu sein. Und du kannst mir nicht Weiß machen, dass dieser Gedanke nicht auch durch deinen Kopf ging … dass du dir das nicht auch selbst wünschst. Warum willst du dann jetzt einfach so aufgeben, wo du doch die Möglichkeit hast, es wahr werden zu lassen? Denn das hat sich geändert. Diese eine Sache … Alles, was du tun musst, ist, dich zurückzuerinnern.“

„Hast du eine Ahnung, was das bedeutet? Was in den letzten Jahren los war. Was ich gesehen … oder getan habe? Wenn du-„

„Nein, ich habe keine Ahnung, aber ich kann es mir vorstellen. Du-„

„Kannst du nicht. Du hast absolut keine Ahnung … manchmal ist schon ein einzelner, kurzer Gedanke daran …“

„Unerträglich, schmerzhaft, voller Qualen? Und dennoch machst du weiter. Bis jetzt. du darfst jetzt nicht einfach so aufgeben. du hast recht, ich weiß nicht, was in den letzten Jahren geschehen ist, was genau du durchgemacht hast, aber … du kannst es mir zeigen. Deswegen bin ich hier. Hier geht es nicht mehr darum, dass ich nur einfach alles erfahren will. John, dein Leben steht auf dem Spiel und ich werde nicht zulassen, dass du einfach so aufgibst. Du hast Freunde da draußen … und Familie und Aufgaben. Ich will dir helfen, John. Du musst das nicht alleine durchmachen. Lass mich dir helfen. Lass mich nur einmal an deinem Leben teilhaben. Zwing mich bitte nicht, dabei zusehen zu müssen, wie du stirbst. Deswegen bin ich nicht zurückgekommen … John … ich werde an deiner Seite sein. Du wirst nicht alleine da durch müssen“, erklärte Patrick nun mit ruhiger Stimme und deute mit seinem Blick in Richtung Stargate.

Doch es war nicht zu überhören und auch nicht zu übersehen, dass es ihn eine Menge Kraft kostete. Noch nie hatte er ein so ruhiges Gespräch mit seinem Ältesten geführt. Ein Gespräch, das mit seinen Worten so an die Substanz ging. Und doch sollte es nur der Anfang sein.

„Ich flehe dich an … bitte John.“

Resigniert und schwach nickte John.

Patrick griff wieder zu Johns Genick, sah ihm in die Augen und nicke ihm ermutigend zu. Dann legte er seinen Arm um die Schulter seines Sohnes und ging mit ihm Seite an Seite durch das Stargate.-

-Kaum dass sie durch das Tor getreten waren, fanden sie sich scheinbar in einem Nichts wieder. Gleich darauf jedoch begann es um sie herum zu glitzern und zu funkeln, als aus diesem Nichts plötzlich vereinzelte Scherben eines scheinbar zerbrochenen Spiegels aufzutauchen schienen. Jedoch konnte man nicht sein eigenes Spiegelbild erkennen. Vielmehr waren es Schatten und Bilder fremder Personen und Orte. Plastische zweidimensionale Erscheinungen, deren Wahrnehmungen nach genauer Konzentration räumlich und körperlich wurden – so als stünde man am Rande mit dabei …

Vollkommen schwerelos schwebten vor Patrick einzelne Splitter und Fragmente, die teils merkwürdige Gestalten, Gegenstände, Flugzeuge, Hubschrauber und anderes zeigten. Einige Scherben schienen geradezu übergroß, während andere winzig klein waren und kaum etwas zu erkennen war.

Auf manchen von ihnen, konnte er merkwürdige Gestalten, von denen er mittlerweile wusste, dass sie Wraith genannt wurden, entdecken.

Einige von ihnen verzogen ihr Gesicht zu einer wirklich erschreckenden und unheimlichen Fratze, die sogar John eine Gänsehaut zu bescheren schien. Andere schienen sich gerade an Menschen heranzumachen und sich an ihnen zu laben. Die Angst, den Schrecken und sogar den Tod konnte man in ihren Gesichtern erkennen.

Auf anderen entdeckte er ihm völlig fremde Menschen, die allerdings in Johns Leben sicherlich irgendeine Rolle gespielt haben mussten.

Ebenso auch die eine oder andere junge und durchaus hübsche Frau, die ihm offenbar im Gedächtnis geblieben ist.

Aber sogar Kolya konnte er erkennen. Es wunderte ihn nicht wirklich, dass er auf einer der größten Scherben zu sehen war. Immerhin wusste Patrick mittlerweile, was sich zwischen Kolya und seinem Sohn in der Vergangenheit abgespielt hatte.

Doch dieser Umstand verwunderte ihn nicht so sehr, als die Tatsache, dass sich die Bilder auf den meisten Fragmenten immer wieder veränderten und teilweise surreale Eindrücke hinterließen. Ein käferähnliches überdimensionales Insekt schien sich in den Hals eines beinahe menschenähnlichen Wraith zu verbeißen, eine von Kolyas Händen verwandelte sich in ein Maul mit spitzen Reißzähnen. Um einen Thron, auf der eine hübsche Blondine saß, kringelte sich eine merkwürdig aussehende verflochtene Kette, die sich nach näherer Betrachtung als eine DNA-Doppelhelix herausstellte. Um den Kopf einer weiteren Frau schwirrten winzig kleine Metallteilchen, die zudem auch noch in sie eindrangen, während sie an einer anderen Stelle wieder heraus schwirrten.

All diese Erscheinungen und Bilder erinnerten ihn wohl mehr an einen dieser übertriebenen Science-Fiction oder auch Horror Filme, die John schon als Teenager gerne gesehen hatte.

Carols Beschreibung des Unterbewusstseins eines Menschen schien hier nicht ganz treffend zu sein.

Nach den ersten anfänglichen Schocks schien Patrick wieder zu einer halbwegs ruhigen Fassung zurückgefunden zu haben. Doch die Eindrücke ließen ihn nicht ganz los.

Zweifellos vermischte sich hier die vergangene Realität, mit einer fiktionalen Filmwelt und doch ahnte oder vielmehr fürchtete Patrick, dass dies alles doch auf irgendeine Art und Weise schreckliche Realität sein könnte.

„Deine Mutter hat mich zwar gewarnt, dass das menschliche Unterbewusstsein … ziemlich chaotisch sein kann, aber das hier … du solltest hier wirklich mal dringend aufräumen.“

„Ich dachte, deswegen bist du hier.“

„Was? Um deine Arbeit zu machen? Es ist deine Räuberhöhle. Wenn deine Mutter das aber sehen würde … ich glaube sie würde deine psychische Verfassung gründlich analysieren und womöglich sogar Deine Diensttauglichkeit infrage stellen … das ist ja Wahnsinn.“

„Du hast ja keine Ahnung, Dad.“

„Mag sein, aber ich bin nicht hier, um dir einen Strick daraus zu drehen und deine Mutter würde es wahrscheinlich auch nicht tun. Ich bin hier, um dir Beine zu machen und dafür zu sorgen, dass du hier wieder heil rauskommst. Und da die Zeit immer knapper wird, schlage ich vor wir fangen an.“

„Und wie?“

„Tja, ähm … Ich habe keine Ahnung. Ich war noch nie in jemandes Unterbewusstsein und in deinem schon gar nicht.“

„Was sollen wir tun? Hat … hat Mom nichts gesagt? Oder sonst jemand?“

„Die Ärzte und Alexa meinten, dass du dazu gebracht werden musst, dich an unangenehme Dinge zu erinnern, weil das ein Stoff auf den Plan ruft, was den Erreger eventuell bekämpfen würde. Leider gaben sie mir sonst keine genauere Anleitung mit. Aber so wie es aussieht, scheinen wir hier zumindest schon mal richtig zu sein“, meinte Patrick und sah nochmal zu den vielen umherschwirrenden Fragmenten.

„Und was jetzt? Soll ich dir zu jeder dieser … Scherben und Splitter eine nette Geschichte erzählen?“

„Ich denke nicht, dass Nettigkeiten hilfreich sind. Es würde wahrscheinlich ausreichen, wenn du mir die Wahrheit erzählst.“

„Die Wahrheit … ja, die wolltest du schon die ganze Zeit. Und wie immer, gehen deine Wünsche in Erfüllung“, stöhnte John und wandte sich einige Schritte von seinem Vater ab.

„Ich bin nicht deswegen hier, John. Ich habe dir bereits gesagt, dass du da draußen-„

„Ja, ja, ich weiß. Ich bin krank, ich liege in Koma, ich bin am sterben … hätte nicht gedacht, dass es so … das eine oder andere würdet ihr früher oder später erfahren, das war mir klar, aber … auf diese Art und Weise-„

„Ich weiß. Mir wäre es auch lieber, wenn wir uns irgendwo und irgendwann bei einem ruhigen und gemütlichen Gespräch darüber unterhalten könnten, aber ich habe bestimmt auch nicht damit gerechnet, mit dir durch deinen Verstand zu spazieren.“

„Na schön. Was soll´s. Ich habe mich von dir dazu breitschlagen lassen und jetzt sind wir nun mal hier, also … müssen wir diese Scherben wieder zusammensetzen oder spielen wir Memory damit oder was?“

„John, ich habe keine Ahnung. Ich sehe nur diese Scherben, auf denen irgendwelche Bilder zu sehen sind, die mir offenbar etwas mitteilen wollen. Aber ich werde nicht schlau daraus. Also nehme ich an, dass du mir etwas dazu erklären musst.“

„Und wo fangen wir an?“

„Ich glaube, es spielt wohl keine große Rolle. Fangen wir einfach hiermit an …“ Patrick ging zu einem Fragment, auf dem einige verletzte Soldaten zu sehen waren, die sich offenbar in einer Wüste befanden. „Ich nehme an, dass das etwas ist, das in Afghanistan geschehen ist?“

„Ja.“

„Und was ist genau ist damals geschehen?“, fragte Patrick und sah sich das Bild auf diesem einzelnen Fragment genauer an. Doch als er es berührte, veränderte sich die Umgebung …

–„Los, Beeilung! Rein hier! Los! Los!“, schrie John immer wieder und sah abwechselnd zu der Spezialeinheit, die im Eiltempo den Helikopter erreichte und der näheren Umgebung hin und her.–

„Was zum … Was ist hier los?“, kam es fast brüllend von Patrick, der sich nun völlig perplex umsah.

„Dad? Was hast du getan?“

„Ich habe gar nichts gemacht. Ich habe … Ich habe mir nur dieses Bild genauer ansehen wollen und plötzlich sind wir … hier.“

Obwohl es in diesem Helikopter zwar relativ geräumig war, schien es mit der Zeit durch die hereinstürmenden Soldaten doch etwas eng zu werden. Zumindest empfanden das John und Patrick, die sich immer mehr in den Hintergrund drängen und sich ducken mussten. Ebenso war der Lärm durch die Motoren ziemlich laut und machte eine normale Unterhaltung in einer angenehmen Lautstärke fast unmöglich.

Und das war noch nicht mal das Merkwürdigste.

Es irritierte John, sich selbst im Cockpit sitzen sehen zu können. Die letzten beiden Male, als dies der Fall war, hat er sich zuerst selbst verprügelt und beim zweiten Mal traf er auf eine von den Replikatoren geschaffene Kopie. Doch diesmal war es anders.

Sogar sein Vater musste mehrmals zwischen ihm und seinem vergangenen `Ich´ hin und her sehen müssen, bevor er kaum merklich und vor allem verständnislos den Kopf schüttelte.

„Hast du irgendwas angefasst?“, kam es leicht gereizt von John.

Die Umgebung und die Soldaten kamen ihm nur allzu bekannt vor. Jeden einzelnen von ihnen kannte er. Auch wenn er wusste, dass er sie erst wenige Tage vor diesem Einsatz kennengelernt hatte, so hatte er sich doch recht gut mit ihnen verstanden. Sowohl er als auch die Jungs hatten sich schon beinahe gefreut, als sie erfuhren, dass John sie zu ihrem Einsatzort beförderte und auch wieder zurück bringen sollte. Es schmerzte ihn, zu wissen, was gleich passieren würde … was damals geschah. Auch wenn ihm immer wieder gesagt wurde, es sei nicht seine Schuld gewesen, änderte es nichts an der Tatsache, dass für mindestens einen jede Hilfe zu spät kam, ein weiterer schwerste Verletzungen erlitt und die restlichen, inklusive John, noch glimpflich davon kamen.

Zu gerne würde er hier wieder verschwinden, sie ignorieren oder einfach vergessen können, was hier gleich geschehen würde, oder besser gesagt geschah. Doch es war eben nur eine Erinnerung. Sein Vater würde ihn nicht lassen und tief in seinem Inneren wusste er, dass es sein musste und dennoch …

„Ich habe nichts … oh ja, doch, ich habe das Bild berührt.“

John verdrehte entnervt die Augen.

„Dad-„

„Hätte ich denn wissen können, dass das passiert? Außerdem, wer sagt uns denn, dass nicht genau das getan werden musste? Ich denke nicht, dass nette Anekdoten zu den Bildern in deinem Unterbewusstsein ausreichen würden.“

„Das hast du schon mal gesagt“, entgegnete John und suchte schnell nach einem Halt, als der Helikopter vom Boden abhob. Doch entgegen Johns Erwartung und besseren Wissens spürte er keine Vibration des Hubschraubers, keine Rüttler, Hopser oder sonstige Bewegungen, die man sonst bei einem so schnellen Start verspüren würde.

„Es scheint jedenfalls zu funktionieren und … sie sehen uns nicht, oder?“

„Dad, ich habe keine Ahnung. Du verlangst von mir, ich soll mich an anderes erinnern. Na schön, okay, das tue ich. Aber wie das hier funktioniert, weiß ich auch nicht. Keine Ahnung, was ihr da draußen macht. Oder wie.“

John winkte einmal mit seiner Hand vor dem Gesicht einer der Soldaten, die auf der Sitzbank saßen, doch er schien keine Notiz von ihm zu nehmen.

„Hm, offenbar nicht. Sie können uns wohl nicht sehen. Hören vermutlich auch nicht. Sanders? Hey Sanders! Sanders, wenn du mich hörst, dann sieh zu, dass du dich wo anders hinsetzt. Du lebst da gefährlich“, brachte John hervor, doch der Soldat namens Sanders, reagierte noch immer nicht.

„John, es sind Erinnerungen. Du wirst recht haben. Sie können uns nicht sehen und nicht hören. Es hat keinen Sinn mit ihm reden zu wollen.“

„Wenn ich es damals schon gewusst hätte, dann …“

„Was dann? Was passiert jetzt eigentlich? Ich meine, was ist damals passiert?“, wollte Patrick wissen und war noch immer irritiert über die Tatsache nicht zu spüren, dass sie gerade flogen.

„Wir sind beschossen worden und …“

„Beschossen?! Du meinst, man wird gleich auf uns schießen?!“, kam es beinahe schrill vom Vater, der mit weit aufgerissenen Augen zu seinem Sohn starrte.

„Und wir werden abstürzen“, kam es diesmal zum Teil bitter, zum Teil fast gleichmütig von John, der noch immer zu Sanders blickte.

„Was?!“

„Wenn die uns nicht sehen und hören können, wird uns wahrscheinlich auch nichts passieren“, meinte John.

„Das beruhigt mich nicht wirklich, John! Wie kommst du denn auf diese Idee?“

„Du hast doch eben gesagt, dass es nur Erinnerungen sind.“

„Das beruhigt mich immer noch nicht …“, gab Patrick nicht minder laut zurück als die Geräusche des Motors, oder besser gesagt, der Rotoren immer noch extrem laut waren. Zudem fiel ihm Johns eigenartiger Blick auf, mit dem er diesen Sanders bedachte.

„Was ist mit ihm geschehen? Wurde er getroffen?“

Es dauerte nur kurz bis John antwortete.

„Nicht von einer Kugel.“

„Was soll denn das heißen?“

Patrick hatte keine Antwort mehr bekommen können, denn der Helikopter wurde gerade in diesem Moment von Kugeln getroffen.

–„Verdammt noch mal! Wir werden beschossen! Haltet euch fest!“, schrie John und umklammerte gerade zu krampfartig den Steuerknüppel, als er merkte, dass der Heckrotor einige Treffer abbekommen hatte.

„Wer schießt denn jetzt auf uns?“, kam es von einem anderen Soldaten, der direkt hinter John saß.

„Willst du das erraten, oder begnügst Du dich auch mit der Tatsache, dass wir hier über Taliban-besetztem Gebiet sind?! …“, entgegnete John.

„Na denen werde ich Dampf machen!“, meinte Billie, einer der anderen Soldaten, nahm seine Waffe und schoss aus dem Hubschrauber heraus. Doch ein Projektil eines Maschinengewehrs, das vom Boden aus auf sie abgefeuert wurde, hatte ihn an der Schulter getroffen und ließ ihn wieder weiter zurück in den Helikopter fallen.

„Billie!“

„Oh verdammt noch mal! Diese verdammten Hurensöhne!“, ächzte Billie und drückte auf seine stark blutende Wunde.

„Hinten ist die medizinische Ausrüstung, kümmert euch um ihn! Ich versuche, Höhe zu gewinnen und hinter diesen Bergen zu landen. Viel weiter werden wir sowieso nicht kommen! … Mayday! Mayday! Mayday! Hier ist Eco zwölf! Befinden uns fünfzig Meilen östlich von Qalat! Wir werden von aufständischen Bodentruppen beschossen und müssen Notlanden! Mayday! Mayday! Mayday! … Oh, verdammt noch mal! … Komm schon! Komm schon! … Wir stürzen ab! Mayday! Mayday! … Wir gehen runter!“

Es war das letzte, das John durch das Funkgerät und zu den Männern der Spezialeinheit brüllen konnte. Die Treffer, die Motorengeräusche und die verschiedensten Alarmsignale, die kurz darauf im Cockpit zu hören waren, übertönten jedes weitere Wort. Der Wüstenboden kam mit rasanter Geschwindigkeit immer näher.–

Noch einmal sah Patrick mit gemischten Gefühlen und weit aufgerissenen Augen zu John, bevor sich die Umgebung um sie herum in das hellste Weiß verwandelte, dass sie jemals gesehen hatten …-

Krankenstation

Nachdem man Patrick und John an die Geräte angeschlossen hatte, haben alle bis auf Elisha und Jennifer den Intensivraum verlassen und sich in den Beobachtungsraum begeben, der sich über diesem befand. Dutzende Monitore und Bildschirme standen auf den Tischen an den Seiten und gewährten Einblicke auf die körperliche Verfassung von Vater und Sohn, ebenso auch auf das genauere Verhalten des Mikroorganismus, der John befallen hatte. Durch einen anderen, größeren Bildschirm konnten jedoch Eindrücke und Wahrnehmungen aus Johns Unterbewusstsein gesehen werden, die Carol und Dave und auch die anderen anfangs irritierten und nun auch ängstigten.

„Sie werden abstürzen? Was ist mit meinem Mann und meinem Sohn? Ich meine-„

„Ihnen wird nichts passieren, keine Sorge. Sie können auf diese Art und Weise keinen Schaden nehmen, egal was passiert. Es sind lediglich Colonel Sheppard’s Erinnerungen, die visualisiert werden. Es ist etwas kompliziert es genau zu erklären, aber die beiden befinden sich dort in einem Stadium, in einer Form, der es ihnen ermöglicht, das Unterbewusstsein als eine Art Besucher zu betreten. Es ist … als würden sie einer Aufzeichnung folgen, in der sie allerdings selbst präsent sind, aber keinerlei Einfluss nehmen können“, versuchte Dorian zu erklären, doch Carols Gesichtsausdruck verriet ihm, dass sie kaum verstanden hatte, wovon er sprach.

„Sie meinen, es ist so, als würden sie sich einen Film ansehen und dabei selbst als Statisten mitspielen?“, fragte Rodney unsicher.

„Ich kann dieser Terminologie zwar nicht ganz folgen, aber ich sage einfach mal ja.“

„Aber ihnen wird bestimmt nichts geschehen?“, fragte Carol noch immer besorgt nach.

„Nein. Sie könnten sogar mitten in einem Kugelhagel stehen, ohne Schaden zu nehmen. Sie sind nicht wirklich körperlich in den jeweiligen Situationen.“

„Das vielleicht nicht, aber sehen Sie“, meinte Dave und wies auf einen anderen Bildschirm, der unter anderem den erhöhten Blutdruck und den beschleunigten Herzschlag der beiden Männer zeigte.

„Oh nein. Patricks Herz. Er hatte doch einen Herzinfarkt. Ich wusste, dass es nicht gut sei, wenn er gehen würde. Was, wenn er wieder einen bekommt?“

„Jennifer …“, rief Rodney, der eine Sprechverbindung zum Intensivraum hergestellt hatte, „du solltest Mister Sheppard gut im Auge behalten. Er hatte damals einen Herzinfarkt, der ihm-„

„Ich weiß, Rodney, ich beobachte seine Werte ganz genau. Genauso wie Colonel Sheppard. Ihrer beider Adrenalinspiegel sind teilweise leicht erhört. Es kann durch die Aufregung sein. Immerhin war Sheppard Senior wohl noch niemals in einer solchen Situation. Ich denke, er wird sich bald beruhigen und merken, dass nichts passieren kann. John wird sich auch bald einfangen. Keine Sorge. Es besteht keine akute Gefahr.“

Nur wenig beruhigt und noch immer skeptisch betrachtete Carol wieder den Bildschirm, auf dem sie das weitere Geschehen verfolgte.

In Johns Unterbewusstsein

-Das Weiß löste sich auf und gab Patrick und John eine Sicht auf einen abstürzenden Helikopter frei.

–Mit einem dumpf rauschenden Motorengeräusch fiel der Helikopter eher von Himmel, als das er langsam sank. Ein lauter Knall, gefolgt von ebenso lautem und fast unerträglichem Knirschen und Schleifen zeugte vom harten Aufsetzten des Black Hawk auf den Boden. Offenbar hatte John es gerade so geschafft, die Nase des Hubschraubers noch halbwegs hochzuziehen, doch es reichte bei Weitem nicht mehr für eine sanfte Ladung. Hart krachte der Hubschrauber auf den Boden, Funken sprühten, als das Metall über die Felsen rieb, die Landekufen brachen entweder nach hinten oder seitlich weg. Die Rotorblätter gruben sich in den Boden, wirbelten zunächst Sand auf, bevor sie ebenfalls teilweise durch den Widerstand durch umliegende Felsen brachen. Durch den Gegendruck, der durch das weitere Schlittern und Kippen des Hubschraubers über den Boden entstand, begann der Rotorkopf Funken zu sprühen und ging in Qualm und Rauch auf, bevor er schlussendlich mehr oder weniger auseinanderbrach. Ganze Metallteile der Verkleidung des Helikopters zerbarsten, das Glas der Scheiben zersprang. –

Es dauerte zwar nur Sekunden, bis der Hubschrauber endgültig zum Stillstand kam, doch für Patrick und ganz besonders für John dauerte dieser Moment eine halbe Ewigkeit.

Und doch war keiner der beiden in der Lage, die Beine in die Hand zu nehmen und wegzulaufen. Wie durch einen Bann gefangen zu sein, standen Patrick und John nur wenige Meter entfernt von der Absturzstelle und verfolgten das Geschehen. Beide hatten bei dem Aufprall die Hände schützend über ihr Gesicht gehoben und sich abgewendet, nur um später verblüfft festzustellen, dass sie nichts abbekommen haben.

Nur Patrick tat sich noch etwas schwer damit. Sein prüfender Blick glitt über seine eigenen Arme und Beine. Schnell drehte er sich um seine eigene Achse und tastete er sich ab, als wolle er sichergehen, nicht doch irgendwie in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Erleichtert atmete er auf und sein schockierter Blick wanderte wieder zu dem abgestürzten Hubschrauber.

„Mein Gott! Und das habt ihr überlebt?“

„Black Hawks sind eigentlich ziemlich robust. Sie sind extra so konzipiert, dass sie einen eventuellen Absturz zumindest halbwegs intakt überstehen. Nur …“

„Nur was?“

John antwortete nicht mehr, sondern starrte nur noch auf den Helikopter, in dem es doch noch Lebenszeichen gab.

–„Ist alles in Ordnung mit euch? Jemand verletzt? Billie?“, hatte John wissen wollen, während er sich noch völlig benommen und daher mit viel Mühe aus seiner Lage im Cockpit versuchte aufzurichten und sich zu befreien. Durch das zersplitterte Glas der Frontscheibe hatte er mehrere kleine Kratzer und Schnitte im Gesicht, die zwar nicht tief waren, aber durch Schweiß und Schmutz arg brannten und auch leicht bluteten. Schnell strich er sich über das Gesicht, um noch verbliebende Splitter zu entfernen.

„Nein … Billie ist weggetreten und so wie es aussieht, ist auch noch sein Bein gebrochen … Verflucht! Sanders! Verdammt nochmal! Sanders! Hey! … Mein Gott!“, entfuhr es einem weiteren Soldaten, der sich einen schnellen Überblick durch den Hubschrauber verschaffte und seinen Kameraden neben sich entdeckte.

„Was ist mit ihm? … Oh verdammt!“, schloss sich John an, als er sich endlich befreien und nach hinten kriechen konnte.

Sanders lag mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden, röchelte, wand sich verzweifelt hin und her und versuchte vergeblich zu atmen. Eine Glasscherbe steckte fast bis zur Hälfte in seinem Hals und hatte vermutlich auch die Halsschlagader und die Luftröhre verletzt. Das Blut sickerte dennoch sehr langsam aus der Wunde, was wiederum der noch feststeckenden Scherbe zu verdanken war. Doch atmen konnte er nicht mehr. Es war jedem klar, dass dies eine äußerst gefährliche Situation war, in der es auf jede Sekunde ankam.

„Mani? Verdammt Mani!“, schrie der dunkelhäutige Soldat mit Namen Clarence, der einen weiteren seiner Kameraden ohnmächtig entdeckte.

„Was? … oh, verdammt! Tolle Landung, Shepp!“, stöhnte Mani und versuchte sich aufzurichten.

„Wir haben keine Zeit für so was, schieb´ den Medic-Koffer rüber, schnell!“

„Was ist … oh Scheiße!“, entwich es Mani, als er Sanders erblickte. Sofort machte er sich auf die Suche nach dem Medic-Koffer, wobei alles andere mehr oder weniger grob aus dem Weg räumte, schob und stieß, um an ihn heranzukommen.

„Wir können das Glas nicht entfernen! Er verblutet uns sonst!“, meinte John, der den Koffer entgegen nahm und öffnete.

„Ich weiß, aber er bekommt keine Luft. Wir müssen uns darum kümmern, dass er irgendwie Luft bekommt.“

„Ne Sauerstoffmaske bringt nichts. Das kommt niemals in der Lunge an. Wir müssen einen Luftröhrenschnitt machen! Hast du das schon mal gemacht?“ gab John fragend zurück.

„Ja, während des Trainings … und das auch nur in der Theorie …“, antwortete Clarence und suchte sich alles zusammen, was er für diesen Eingriff benötigen würde. Ein kleines steriles Skalpell und ein kleines Stück Schlauch, dass er sich von einem Infusionsschlauch abschnitt.

Währenddessen machte sich John daran, Billies Schussverletzung zu verbinden und das Bein so gut wie eben möglich ruhig zu stellen und zu schienen.

„Sanders, hörst du mich? Wir müssen einen Luftröhrenschnitt machen, danach geht´s dir besser. Hast du verstanden?“

Noch immer röchelnd und nach Luft ringend und mit deutlicher Panik, die sich in seinem Gesicht widerspiegelte, konnte Sanders nicht mehr tun, als sich mit einem blinzeln mitzuteilen.

Doch Clarence kam nicht mal dazu den Schnitt zu machen, als Sanders Röcheln und Winden plötzlich nachließen und er leblos in sich zusammensackte.

„Sanders? Sanders, lass den Scheiß! Verdammt Sanders! … komm schon, Mann!“—

„Er hat es nicht überlebt?“

„Was hat dir das verraten, Dad?“, kam es spitz von John, der mit einem mehr als mitgenommenen Ausdruck das Geschehen verfolgte und immer wieder schlucken musste.

„Was ist mit dem anderen? Wie hieß er noch? Billie?“

„Hat eine´ Menge Blut verloren, aber … er hat´s überstanden.“

„Aber wie seid ihr da wieder rausgekommen?“

„Das Funkgerät hat zum Glück nichts abbekommen. Ich habe nochmal Kontakt zur Basis aufnehmen können. Die Rettung war schon unterwegs, alles, was wir noch zu tun hatten, war eine halbe Stunde am Leben zu bleiben.“

–„Verdammt, wo bleiben die denn?!“, schrie Clarence, während er weiterhin mit seiner Waffe versuchte, die herannahenden Aufständischen in Schach zu halten.

Auch John hatte zur Waffe gegriffen und unterstützte Clarence und Many bei der Verteidigung.

„Die sind schon unterwegs! Aber es dauert noch etwa `ne halbe Stunde!“

„Ich weiß nicht, ob wir so lange durchhalten. So viel Munition haben wir auch nicht mehr!“—

„Geh in Deckung, John. Geh in Deckung“, wisperte John zu seinem eigenen `Ich´. Wohlwissend was gleich passieren würde.

–„Dann müssen wir eben gezielt … Ah! Scheiße!“

„Sheppard!“

„Oh, verdammt … Argh! … Ist nur ein Streifschuss. Keine Panik. Wir müssen gezielter schießen!“, gab John zurück, nachdem er sich wieder aufgerafft und sich überzeugt hatte, dass es wirklich nur ein Streifschuss war, der seinen Arm traf und nicht mal allzu heftig blutete.–

John entging es nicht, zu sehen, wie Patrick bei dem entsprechenden Schuss zusammenzuckte und abermals erschrocken drein blickte.

Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in seinem inneren breit.

Wenn er auch nur schon daran dachte, was sein Vater denken oder besser gesagt, sagen würde, wenn er erst mehr erführe? Eine gewisse Resignation machte sich in seinem inneren breit. Einerseits hatte er schon jetzt keine Lust mehr, sich mehr anzusehen, immerhin kannte er das alles schon und andererseits wollte er am liebsten gar nichts mehr von seinem Vater hören. Es käme ja doch nur wieder dasselbe dabei raus.

John dachte daran, dass er sich niemals hätte dazu breit schlagen lassen sollen.

„John, denk nicht mal daran, einen Rückzieher zu machen“, brachte Patrick leise hervor, als er glaubte zu wissen, was in seinem Sohn vorging.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Ich kenne dich und …“

„Ich hätte mich nie dazu breit schlagen lassen sollen“, entgegnete John gereizt und wandte sich ab.

„Du weißt, es muss sein … es ist so, wie du sagtest, es ist vorbei. Am Absturz traf dich keine Schuld und schon gar nicht am Tod deines Kollegen. Ich weiß, dass es schwer für dich sein muss, das alles wieder zu sehen, aber … vielleicht solltest du es von einer anderen Perspektive sehen. Du kannst es aufarbeiten und damit abschließen. Jetzt und hier.“

„Du klingst schon fast wie Mom.“

„Tja, fast zwanzig Jahre Ehe können bei einem Mann schon mal Spuren hinterlassen.“

„Aber wenn du glaubst, dass dies das Schlimmste ist, was du je gesehen hast …“

„Ich habe schon gesehen, wie auf dich geschossen wurde. Ich war dabei, erinnerst du dich? Nur war es damals Realität, als ich dabei war. Das hier ist die Vergangenheit. Das macht es bestimmt nicht besser, aber im Moment hängt dein Leben von diesem verdammten Erreger ab. Und wenn das bedeutet, dass du eben dabei zusehen musst, wie du dich damals mit den Taliban angelegt hast und in Schwierigkeiten geraten bist …“

„In Schwierigkeiten?! Ein Mann ist gestorben und ein weiterer wurde verletzt!“

„Ich weiß und … es tut mir unendlich leid, John. Das musst du mir glauben. Aber …“

„Das macht ihn nicht wieder lebendig … und die anderen auch nicht, die in all der vergangenen Zeit ihr Leben lassen mussten. All das hier, macht nichts ungeschehen oder rückgängig!“

„Nein, aber es rettet dein Leben! Wenn du jetzt aufgibst, sind sie alle umsonst gestorben … Willst du das? Willst du ihren Tod sinnlos sein lassen?“

„Jeder Tod ist irgendwie sinnlos.“

„Nur wenn man ihn aus Stolz oder Furcht so erscheinen lassen will und es sich einredet … und für so etwas bist du nicht der Typ … was würden sie wohl denken? Was würden sie wollen? Wenn all diese Menschen dich jetzt sehen könnten … sie würden dich nicht wieder erkennen. Selbst ich … du hast noch niemals viel Wind darum gemacht, zu zeigen, wer du bist und was du kannst. Du hast etwas an dir … in dir, dass die Menschen um dich herum in einem Bann zieht. Warum nur, ziehst du dich jetzt so zurück? Warum … wovor fürchtest du dich? … Ich weiß, es ist nicht einfach für dich. Ich weiß, dass es eine Qual für dich sein muss. Hätte ich früher gewusst, wie schwer das für dich ist … ich hätte dich vielleicht nicht so bedrängen sollen, uns alles zu sagen.“

„Und dabei kennst du noch nicht einmal alles“, gab John leise zurück und wunderte sich über das Beigeben seines Vaters.

Gemeinsam beobachteten sie, wie der Rettungshubschrauber die Absturzstelle erreichte, die aufständischen Taliban vertrieb und die gesamte Besatzung des abgestürzten Black Hawk aufnahm und sich schnellstens in Richtung Basis aus dem Staub machte.-

„Wir haben nur wenig Zeit, John. Lass uns weitermachen … das war nicht der Grund für deine Degradierung und die Abkommandierung nach McMurdo.“

„Nein, das weißt du doch“, antwortete John und beobachtete kurz drauf, wie sich die Umgebung erneut veränderte.

Nun fanden sie sich offenbar im Kommandostand eines Stützpunktes inmitten einer Wüste wieder.

„Wo sind wir hier?“, wollte Patrick wissen.

„Auf dem Stützpunkt, Nähe Kandahār.“

–„Das ist mit klar, Sheppard. Aber Sie wissen ebenso gut wie ich, dass wir nicht einfach so losziehen können. Der Rettungseinsatz muss mit den Afghanen koordiniert werden, ob Ihnen das passt oder nicht.“

„Die werden da drauf gehen, wenn sie nicht schnellstens daraus geholt werden, Sir. Das Gebiet wimmelt nur so von …“

„Sie haben Ihre Befehle, Colonel! Sie werden sich zurückhalten, bis Sie andere Befehle erhalten. Ist das klar?“, sprach der General mit lauter Stimme, als ihm das Aufbegehren seines untergebene gegen den Strich ging.

John machte kommentarlos auf dem Absatz kehrt und verließ das Gebäude, nur um vor dem Ein- und Ausgang stehen zu bleiben und sich kurz aber gedankenvoll umzusehen.—

„Ich schätze, das ist der Moment gewesen, wo du dein Hirn abgeschaltet hast“, brachte Patrick hervor, wohlwissend, was nun geschehen würde.

„Hätte ich sie etwa da draußen sterben lassen sollen?“

„Sie waren schon tot, als du sie erreicht hast.“

„Nein … nicht alle. Zwei konnten rausgeholt werden“, entgegnete John bitter und sah, wie Patrick schweigend, aber dennoch nachdenklich den Blick von ihm abwandte.

John wünschte sich so sehr, dass er irgendwie Einfluss auf das Kommende nehmen könnte. Doch er musste sich wieder einmal ermahnen und erinnern, dass es eben nur Erinnerungen seien.

Die beiden wurde Zeuge, wie John sich kurzerhand entschloss, einen Hubschrauber zu entwenden, ihn zu starten und trotz der vielen Warnungen und letzten Endes auch Drohungen, die ihn über Funk erreichten, weiter zu der letzten bekannten Ortung der Absturzstelle seiner Kameraden zu fliegen.-

~~~///~~~ 

Mit gemischten Gefühlen haben auch Carol, Dave und einige andere auf der Krankenstation gesehen, wie John an der Absturzstelle ankam, schockiert feststellen musste, dass für die meisten jede Hilfe zu spät kam und nur mit zwei anderen Personen gerade so den Taliban entkommen konnte und sich noch eine ganze Weile durchlagen mussten, bis sie endlich von einer offiziellen Rettungseinheit gerettet wurden. Auch die danach folgende Anhörung vor einem Militärgericht, die daraus resultierende Degradierung und Strafversetzung nach McMurdo konnte vor allem Carol nicht ganz nachvollziehen.

„Ich weiß, es war nicht gerade eine seiner besten Ideen, aber er hat doch nur helfen wollen.“

„Ja, aber es war dennoch Befehlsverweigerung, Mom. Sie hatten keine andere Wahl als so zu handeln. Und dabei kann er noch froh sein, dass Dad aufgetaucht war. Hätte dieser Richter oder Vorsitzende oder wie auch immer, ihn nicht erkannt … es hätte jedenfalls kein gutes Bild gemacht, wenn sie John unehrenhaft entlassen hätten. Dad´s Beziehungen reichten doch schon immer weit und vor allem hoch hinaus“, erklärte Dave, als er sich vage an diese Zeit erinnerte.

Er erinnerte sich auch daran, wie aufgebracht und schlussendlich erschöpft sein Vater war, als er sich zu dieser Zeit immer wieder mit John zunächst über seine überhastete Entscheidung, ohne Erlaubnis zu seinen Kameraden zu fliegen, aufregte und dann auch noch jeglichen Beistand eines Anwalts von Dad verweigert hatte.

„Sie meinen es hätte John schlimmer treffen können, wenn er nicht der Sohn eines reichen Industriellen gewesen wäre?“, fragte Rodney verdutzt nach.

„Möglicherweise. Man ging damals bei der Anhörung zwar niemals auf seine Herkunft ein und erwähnt wurde es auch nicht, soweit ich weiß. Außerdem hat sich Dad auch nicht aktiv eingemischt. Aber ich denke, alleine Dads Anwesenheit und der Name Sheppard haben schon irgendwie mitgespielt und Eindruck gemacht.

Aber Dad hatte sich sehr über Johns Verhalten aufgeregt und schon fast regelrecht gebettelt, er solle sich durch einen unsere Anwälte vertreten lassen. John hatte das aber immer kategorisch abgelehnt. Von da an … brach der Kontakt zu ihm fast gänzlich ab.“

„Hätte er unter meinem Kommando gestanden und sich eine solche Befehlsverweigerung geleistet, wäre er nicht so einfach mit einer Degradierung und Abkommandierung davon gekommen. Da hätte auch seine Herkunft keine Rolle gespielt“, meinte Tristanius etwas finster und sah weiterhin zu den Bildschirmen.

„Wie hätte denn bei Ihnen eine Disziplinarstrafe ausgesehen?“, wollte Rodney wissen. Doch es war Alexa die antworte, wobei Tristanius noch immer zu den Bildschirmen starrte.

„Glauben Sie mir, Rodney, das wollen Sie nicht wirklich wissen. Zumal man es wohl kaum als Disziplinarstrafe bezeichnen kann. Dafür sind unsere Militärgesetze, Regeln, Vorschriften und vor allem auch die vorgesehen Strafen bei den verschiedensten Vergehen wahrscheinlich viel zu unterschiedlich und vor allem … härter, als beim Erdenmilitär.“

Rodney und der Rest des Teams begnügten sich mit dieser Antwort, zumal der Gesichtsausdruck des Antikergeneral´s von einer gewissen Ernsthaftigkeit und beinahe absoluter Zustimmung sprach und da die Beziehung zu ihm noch immer nicht ganz einfach war, entschied man sich nicht weiter zu fragen.

„Diese Fluggeräte, die eben durch Colonel Sheppard zu sehen waren, sahen ziemlich interessant aus. Ist es möglich, mehr darüber erfahren zu können?“, erkundigte sich Dorian neugierig.

Es war Daniel, der mit einer Antwort Alexa zuvor kam, was ihr allerdings auch sehr gelegen kam. Sie fühlte sich noch immer nicht ganz wohl. Die Kopfschmerzen, die sie eben erst in die Bewusstlosigkeit getrieben hatten, waren zwar bei Weitem nicht mehr so schlimm, erlaubten es ihr andererseits jedoch kaum, ihre Konzentration auf etwas Bestimmtes zu richten.

Immer wieder wurde sie von Schwindel gepackt und die Übelkeit, die in ihrem Inneren rumorte war ebenfalls äußerst unangenehm und ließ sie mehrmals schlucken.

Dem General entging dies nicht. Auch wenn er die meiste Zeit auf die Bildschirme starrte oder hinunter zu seiner Frau sah, die mit Jennifer fortlaufend den Zustand des Colonels überwachte, so sah er doch immer wieder zu seiner Tochter, die noch immer blass um die Nase und gelegentlich leicht zu taumeln schien.

Es wollte ihm nicht so ganz in den Kopf, warum sie unentwegt hier war und nicht selbst in einem Krankenbett lag, wo sie seiner Meinung nach dringend hingehörte.

Noch mehr beschäftige ihn jedoch die Tatsache, dass sie sich auch abgesehen von der momentanen Situation ständig in der Nähe des Colonels befand. Oder besser gesagt, er befand sich ständig in ihrer Nähe. Zudem ging ihm auch die Aussage seines Sohnes nicht mehr aus dem Kopf.

Colonel Sheppard’s Beschützerinstinkt sei erwacht?

Deswegen sei nun auch Ronon ständig in Alexas Nähe?

Ahnte er bereits etwas? Womöglich die Wahrheit?

Tristanius rief sich wieder zur Ordnung, als er bemerkte, wie tief er in seine Grübelei verfiel. Er konnte unmöglich von Kieran wissen. Niemand konnte das.

Ein mysteriöser Fremder vielleicht. Ein Fremder, der ein gewisses Interesse an den Antikern hatte. Zugegeben, sein Interesse lag hauptsächlich bei Alexa, doch auf keinen Fall konnte dieser Sheppard mehr wissen als das. Aber dennoch … zwischen den beiden schien mehr vorzugehen.

Von seiner Sorge und seinem Wunsch Alexa beschützen zu wollen einmal abgesehen, gefiel ihm die offensichtliche Interaktion und Vertrautheit zwischen den beiden nicht so ganz.

Sein Blick fiel wieder auf seine Tochter, die noch immer arg mit ihrer Konzentration kämpfte. Er sah die Anstrengung, aber auch Erschöpfung in ihrem Gesicht und es war auch eine gewisse Sorge, die er in ihren Augen sehen konnte. Zudem erinnerte er sich an den Moment, als Amelia die Nachricht über Sheppard’s Zusammenbruch überbrachte. Er konnte ihr gar nicht mehr so schnell hinterher sehen, wie sie aus dem Büro stürmte und geradewegs zur Krankenstation eilte.

Dieses Verhalten und ihr momentaner Zustand, der sich wohl durch ihre Sorge zu verschlimmern schien, kamen ihm mehr als bekannt vor.

Auch wenn die Umstände damals andere waren, so erinnerte es ihn doch sehr an eine der schlimmsten Zeiten für seine Tochter und auch für die gesamte Familie.

So sehr hatte er sich gewünscht, sie müsste so etwas oder Ähnliches nicht mehr erleben und durchstehen, doch jetzt, schien sich eine Entwicklung anzubahnen, die ihm ganz und gar nicht gefiel und gerade das ließ aus einem unerfindlichen Grund einen gewissen Groll gegenüber Sheppard in ihm aufkommen. Es war Woolseys Stimme, die ihn wieder ablenken konnte.

„Natürlich. Major Lorne und auch Colonel Sheppard, sobald es ihm besser geht, werden Ihnen bestimmt gerne mehr über unsere Luft- und Raumfahrttechnik erzählen wollen.“

„Und ich würde gerne mehr über die Militärstrukturen der Erde erfahren, wenn dies ebenfalls möglich wäre“, gab Tristanius bekannt.

„Nun, das ist doch ein recht komplexes Gebiet, aber ich denke, dass auch da etwas machbar sein wird“, antwortete Woolsey und freute sich über das Interesse der Antiker an Erdendingen. Es wäre womöglich ein guter Einstieg in konstruktive und vielleicht auch vielversprechende Gespräche, die sich womöglich auch zu einer für beide Seiten rentablen Allianz entwickeln könnten.

~~~///~~~

-In der Zwischenzeit waren John und Patrick zu den vielen Fragmenten aus Johns Erinnerungen zurückgekehrt und mussten noch immer über die Anzahl, vor allem aber über die surrealen Erscheinungen staunen.

„Ich frage mich gerade, ob es im Unterbewusstsein anderer Personen auch so aussieht.“

„Das solltest du Mom fragen. Sie ist doch Spezialistin dafür“, antwortete John.

Patrick konnte sehen, dass sich John nicht besonders wohl fühlte. Doch ob er es einer Art Beklemmung zuschreiben konnte -denn wer machte schon gerne einen Ausflug in die schlimmsten Erinnerungen eines Lebens und dann auch noch in Begleitung seines Vaters- oder ob es ein Anzeichen von Johns allgemeinen Gesundheitszustandes sein konnte, wusste Patrick nicht.

So oder so, es war Eile geboten.

„Wir müssen weiter machen, John. Ich nehme an, das hier geschah in der Antarktis.“

„Ja.“

„Wer ist der Mann?“

„General O´Neill. Ich sollte ihn von McMurdo zu einer Forschungseinrichtung mitten im Eis fliegen.“

„Hat nicht Doktor Beckett neulich davon erzählt?“

John nickte nur, während Patrick sich schon denken konnte, dass dieser Vorfall nicht ganz so harmlos gewesen sein musste, wie der Doktor ihm damals glauben machen wollte.

„Offensichtlich ist der gute Doktor sehr redegewandt und kann sensible Tatsachen gut verpacken.“

Es war diesmal John, der das Fragment berührte und somit sich und seinen Vater in diese Erinnerungen beförderte.

–„An alle, die sich im Anflug befinden. Melde Drohne, die selbstständig Ziel erfassen kann. Unverzüglich landen und Motoren ausschalten. Das ist keine Übung“, wurde über Funk gewarnt.

Beinahe gleichzeitig hatte John die Drohne schon entdeckt und hatte feststellen müssen, dass sie bereits Kurs auf den Helikopter genommen zu haben schien.

„Das ist leider zu spät. Festhalten“, warnte er seinen Passagier, General O´Neill, vor, bevor er eine scharfe Rechtskurve flog und so zunächst der Drohne hatte ausweichen können.

Doch sie war schnell wieder auf Kurs gewesen, was auch dem General nicht entgangen war.

„Nach rechts!“

John flog jedoch nach links, wodurch die Drohne an ihnen vorbei schoss.

„Ich sagte nach rechts!“

„Ich versuche es, Sir!“

Sowohl John als auch General O´Neill suchten den Himmel ab, konnten die Drohen jedoch nirgends entdecken.

„Ich sehe sie nicht.“

„Nach oben. Nach oben!“

Wieder hielt sich John an das glatte Gegenteil dessen, was O´Neill ihm befahl.

John steuerte den Hubschrauber weiter nach unten, was zum Glück dafür sorgte, dass auch dieses Mal die Drohne ihr Ziel verfehlte. Beiden war jedoch nicht entgangen, wie knapp sie am Heckrotor vorbei sauste.

O´Neill ging allerdings nicht weiter darauf ein und vertraute stattdessen den Flugkünsten des jüngeren Piloten.

„Wie wäre es jetzt?“, kam es von O´Neill, der wie John wieder die Drohne hinter ihnen glaubte.

„Jetzt ist gut“, hatte John zurückgegeben und zog den Steuerknüppel zu sich, wodurch der Helikopter augenblicklich wieder enorm an Höhe gewann.

So verfehlte die Drohne abermals ihr Ziel und kaum, dass die Drohne im Schnee einschlug, landete John auf dem nächstbesten mit Schneebedeckten Platz und schaltete auf O´Neill´s Geheiß die Motoren aus.

„Sir, was zum Teufel war das?“

„Abwarten.“

Es klang schon fast wie eine Prophezeiung, als die Drohne einige Meter vor dem Helikopter aus dem Eis schoss und wieder mit rasender Geschwindigkeit Kurs auf den Hubschrauber nahm.

John war der Erste, der erkannte, dass sie nur eine Wahl hatten.

„Raus hier!“

Beide Männer wollten sich mit einem Hechtsprung in den Schnee retten. Doch während John eher unsanft im Schnee landete, fiel die Drohne plötzlich energielos zu Boden und schlitterte noch ein kleines Stück über den Schnee, bevor sie direkt vor O’Neills Füße zum Stillstand kam.

„Sheppard?“

„Sir?“

„Alles in Ordnung. Sie ist … es ist vorbei. Man hat sie wohl ausschalten können.“

„Sind Sie sicher, Sir?“

„Ja, so ziemlich. Ich kenne mich mit den Dingern etwas aus. Also packen wir sie ein und sehen zu, dass wir weiterkommen.“

John stand wieder auf, klopfte sich den Schnee von der Kleidung und kletterte mit etwas weichen Knien zurück in den Hubschrauber.

„War mal was anderes.“

„Für mich nicht unbedingt.“

„Sir, was genau ist das für ein Ding?“ fragte John, als er sah, wie O´Neill an der Drohne fummelte, bevor er sie dann hinter den Sitz legte.

„Das … äh …“

John war der lange prüfende Blick des Generals nicht entgangen. Doch welche Gedanken genau ihm in diesem Moment durch den Kopf gingen, wusste er nicht. Das sollte er erst später erfahren. In diesem Moment hatte er nicht einmal die leiseste Ahnung von dem, was er gleich zu sehen bekommen würde. „Das werde ich Ihnen später gerne erklären. Jetzt aber tun Sie mir den Gefallen, Major, und starten wieder. Hier wird’s mir langsam zu kalt.“

„Ja Sir.“

„Und geben Sie der Station Bescheid, dass wir unversehrt und wieder auf Kurs sind.“—

„Ich schätze du hast ihn beeindruckt“, entwich es Patrick, dem der prüfende Blick des Generals auch nicht entgangen war.

„Eine außerirdische Drohne war hinter uns her. Er hätte wohl dasselbe getan. Ich weiß nicht, was daran so beeindruckend sein gewesen sein soll.“

„Vielleicht gefiel ihm die Tatsache, dass dein Ungehorsam wieder mal die Oberhand gewann und dadurch euer beider Leben gerettet wurde.“

Patrick bemerkte, dass John offensichtlich nicht ganz verstand, worauf er hinaus wollte.

„Ich meine, er sagte rechts, du bist nach links geflogen. Er sagte nach oben, du gehst in den Sinkflug über … hättest du dich an das gehalten, was er gesagt hatte, wäret ihr beide tot. Vielleicht haben ihn auch dein Instinkt und deine Flugkünste überrascht.“

„Ja, so was in der Art hat auch O´Neill gesagt … als wir unten ankamen …“, meinte John, der mit seinem Vater sowohl dem General als auch sich selbst in die Einrichtung gefolgt war. Noch immer irritiert über die Tatsache sich selbst sehen zu können, blieb John stehen und beobachtete sein vergangenes Selbst, das dem General unsicher in den Fahrstuhl folgte, der durch kilometerdickes Eis fahren sollte. „Aber ich denke, die Fahrt nach unten, können wir uns sparen.“

Kaum ausgesprochen veränderte sich die Umgebung und Patrick staunte über die Umgebung, die ihm vollkommen fremdartig, aber durch das schlichte und doch verspielte Design an Wänden und Decken doch irgendwie bekannt erschien.

„Ist das …“

„Der Antiker-Außenposten, ja. Aber damals wusste ich noch nichts davon. Erst als ich auf Beckett traf, habe ich die ersten Informationen erfahren. Vor allem auch, wer versucht hatte, mich vom Himmel zu holen.“

–„Ich schloss meine Augen und konnte trotzdem sehen. Ich fühlte diese Kraft, die ich vorher noch nie gespürt hatte. Ich ließ das Ding über den Himmel springen … das war reine Magie. Wir hatten echt Glück gehabt. Ich weiß nicht wie, aber ich versuchte mich zu konzentrieren und die Drohne schaltete sich selbst ab.“

„Dann waren Sie das also?“

„Wer ich?“

„Sie haben also dieses Ding auf mich abgefeuert!“

„Ah, hören Sie, wir betreiben hier Forschung. Arbeiten mit einer Technologie, die uns um Lichtjahre voraus ist … und machen Fehler. Es tut mir unglaublich, unglaublich leid.“

„Das nächste Mal passen Sie einfach besser auf, okay?“

„Genau, das mache ich.“

„Was zum Teufel war das für ein Ding?“

„Sie meinen die Drohne? Eine Waffe, mit der sich die Antiker hier verteidigten.“

„Die … wer?“

„Haben Sie eigentlich die nötige Autorisierung, um hier zu sein?“

„Ja, General O‘Neill hat sie mir gerade gegeben, und?“

„Dann wissen Sie auch nichts über das Stargate?“

„Das was?“—

„Der Doktor hatte recht. Dein Gesichtsausdruck ist wirklich zum unbezahlbar“, kommentierte Patrick, wobei es John nicht entging, wie sehr sein Vater sich beherrschen musste, nicht in lautes Gelächter auszubrechen.

„Du kannst froh sein, dass deine Mutter nicht hier ist. Sie würde es wahrscheinlich als goldig oder süß betiteln und sich daran erinnern, dass du diesen Gesichtsausdruck schon als kleiner Junge gezeigt hast.

„Da bin ich aber froh, dass du es ebenso gut kannst“, gab John murrend zurück und schüttelte mit dem Kopf, bevor er sich wieder dem Gespräch zwischen Carson und seinem vergangenem Ich widmete.

–„Wir glauben das Gen wird wie eine Art genetischer Schlüssel verwendet, wenn man so will. Damit nur jemand von ihnen gefährliche und mächtige Technologien steuern kann.“

„Und manche Menschen haben das gleiche Gen wie diese Antiker.“

„Dieses spezielle Gen ist sehr selten, aber im Großen und Ganzen sind sie uns sehr ähnlich. Sie waren sogar zu erst da. Wir sind die zweite Evolutionsstufe dieser Form. Die Antiker haben diese Galaxie schon vor Millionen von Jahren erforscht … Major, bitte nicht!“

„Ach, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich dieses Gen habe?“—

Mit fest zusammengepressten Lippen und einem leichten Nicken sah John dabei zu, wie sein früheres Ich im Stuhl Platz nahm, worauf er sofort begann, zu leuchten und in den Operationsmodus fuhr.

Sein Nicken wandelte sich zu einem noch immer leicht ungläubigen Kopfschütteln und auch der Blick seines Vaters kam John nur allzu bekannt vor. Es war eine Mischung aus `Man hätte es eigentlich ahnen können´ und `War ja mal wieder klar – Die Neugier hat ihn übermannt´.

John erinnerte sich noch gut an diesen Moment. Vor allem aber an die leichte Panik, die in ihm aufgekommen war. Doch zum Glück war er schon damals durchaus in der Lage, einen kühlen Kopf zu bewahren und schnell wieder zur Ruhe zu finden.

Es überraschte ihn daher schon etwas, als er sich mit einem mehr als perplexen und überraschten Gesichtsausdruck, kaum fähig einen Mucks von sich zu geben, im Stuhl sitzen sah.

–„Wer ist das?“

„Ich sagte doch, nichts anfassen.“

„I-Ich habe mich nur hingesetzt.“

„Major, wo befinden wir uns im Sonnensystem?“—

Sowohl John als auch Patrick sahen genau wie die anderen nach oben zum Hologramm, dass eine Sicht auf das Sonnensystem preisgab.

„Tja, ich schätze, das war wohl der gelungenste Einstand, den ich je gesehen habe“, kommentierte Patrick mit staunend hochgezogenen Augenbrauen.-

~~~///~~~

Auch Tristanius musste über das gerade gesehene staunen, versuchte sich jedoch nichts anmerken zu lassen. Dennoch hob sich eine einzelne Augenbraue, dass seinem Sohn nicht entging.

„Erstaunlich, nicht wahr? Und das bei seiner ersten Begegnung mit unserer Technologie? Ich weiß ja nicht, wie du darüber denkst, aber ich finde es schon irgendwie … bemerkenswert“, flüsterte Dorian ihm in seiner Muttersprache zu.

Auch wenn ihm der etwas vorlaute Kommentar seines Sohnes nicht so recht gefiel, so musste er ihm doch, wenn auch ungern, aus verschiedenen anderen Gründen, recht geben.

Es war in der Tat auffällig, wie schnell und vor allem wie extrem der Stuhl auf Sheppard reagierte, ganz besonders, da es tatsächlich seine erste Begegnung mit ihrer Technologie war.

~~~///~~~

Unsicher sah Jennifer auf die Werte, die auf einem der Bildschirme zu sehen waren. Vorhin schien die Therapie, die gegen das Wachstum des Mikroorganismus vorgehen sollte, noch zu funktionieren. Es war ein winzig kleiner Rückgang zu erkennen, auch wenn man das in Hinblick auf die Dauer und den Fortschritt der Infektion nicht als Erfolg bezeichnen sollte, so hat es doch für einen winzigen Hoffnungsschimmer gesorgt. Doch nun war dieser Organismus wieder mit voller Stärke auf dem Vormarsch.

Jennifer kam allerdings nicht mehr dazu, Elisha darauf anzusprechen, denn ein weiteres Alarmsignal durchzog den Raum.

„Sein Herzschlag ist unregelmäßig und seine Atmung wird auch flacher. Die Zeit läuft uns davon.“

„Versuchen wir es mit einer kleinen Dosis Adrenalin und hoffen, dass es hilft. Ich denke nicht, dass es gut ist, ihm noch mehr Medikamente zu verabreichen. Wer weiß, wie sein Körper darauf reagiert. Ganz zu schweigen von diesem verdammten Organismus“, meinte Elisha und sah ratsuchend zu Jennifer.

Immerhin war sie die Chefmedizinerin und Elisha konnte sie nicht einfach so übergehen. Doch sie stellte erleichtert fest, dass die junge Ärztin ebenso schnell die Situation einschätzen und der gleichen Meinung war.

„Das wollte ich auch gerade vorschlagen. Wir versuchen es mit der geringsten Dosis und erhöhen auch etwas die Sauerstoffzufuhr. Mehr können wir im Moment ohnehin nicht tun“, erwiderte Jennifer und wandte sich dann an Marie.

„Marie …“

„Was ist passiert? Stimmt etwas nicht mit John oder Patrick?“, fragte Carol besorgt, die schnell näher an die Betten ihres Sohnes und Ehemanns trat.

„John hat einen unregelmäßigen Herzschlag und seine Atmung scheint flacher. Wir geben ihm ein Medikament um die Herzrhythmusstörungen in den Griff zu bekommen und erhöhen die Sauerstoffzufuhr. Aber viel mehr können wir im Moment nicht tun.“

„Was … was ist mit diesen Mikroben? Gehen sie zurück, oder-„

„Vorhin sah es für einen kurzen Moment so aus, als ob die Therapie anschlagen würde. Das Wachstum des Erregers schien sich zu verlangsamen, aber jetzt … ist es beinahe wieder wie zuvor.“

„Woran kann das liegen? Die Therapie kann doch nicht umsonst sein. Sie ist das Einzige, was …“

Elisha konnte eindeutig die Verzweiflung aus den Worten der Mutter hören und vor allem konnte sie es ihr gut nachempfinden. Elisha ließ die letzten Stunden in ihrem Gedächtnis Revue passieren, als sie glaubte, eine Erklärung gefunden zu haben.

„Möglicherweise liegt es an den Erinnerungen.“

„Es ist nicht die richtige Art von Erinnerung? Werden nicht die nötigen Emotionen hervorgerufen und die entsprechenden Endorphine ausgeschüttet?“

„Doch, doch. Allerdings war dies nur am Anfang der Fall, als Ihr Mann in das Unterbewusstsein ihres Sohnes drang. Die ersten paar Erinnerungen riefen die verschiedenen Emotionen herauf und sorgten für die Ausschüttung der entsprechenden Endorphine, aber sehen Sie, gerade eben erinnerte sich John an seine erste Begegnung mit dem Kontrollstuhl auf der Erde. Das mag ihn in diesem Moment zwar erschreckt haben und vielleicht auch unheimlich vorgekommen sein, aber rief wohl keine allzu intensiven Gefühle auf. Das Endorphin wurde entweder gar nicht mehr oder in zu geringer Dosis ausgeschüttet.“

„Dann ist diese Erinnerung also nicht … schlimm genug?“

Elisha antwortete nicht darauf, stattdessen sah sie hinauf zum Beobachtungsraum und aktivierte die Sprechverbindung.

„Alexa? Kannst du spüren, was Colonel Sheppard gerade empfindet?“

„Ich weiß nicht genau. Es sind so viele Gefühle. Da ist … ich weiß nicht … eine Art Bedrückung, Neugier, Trauer, Angst. Es sind so viele Emotionen. Ich kann sie noch nicht einmal richtig unterscheiden.“

„Das ist nicht so schlimm, Alexa. Aber kannst du denn sagen, dass die Intensität seiner Gefühle noch die gleiche ist wie zuvor, oder hat sie nachgelassen?“

„Irgendwie ist es jetzt anders. Seine Emotionen scheinen mir nicht mehr so stark zu sein, wie zu Anfang. Aber sicher bin ich mir nicht.“

„Ist schon gut, ich glaube das genügt uns schon“, entgegnete Elisha und deaktivierte die Sprechverbindung wieder.

„Dann muss ich doch mal mit Patrick sprechen. Er kann mich ganz sicher hören?“

„Ja, er ist nicht im Tiefschlaf. Sein Zustand ähnelt einer Art Trance, daher wird er Sie schon hören können.“

Carol trat näher an Patricks Bett, nahm seine Hand in die ihre und sah noch einmal zwischen ihm und ihrem gemeinsamen Sohn hin und her. Es war schon irgendwie merkwürdig, dass gerade Patrick sich Zugang zu Johns Unterbewusstsein verschaffen musste, um ihm Beine machen zu können und ihn zu einem Überlebenskampf zu überreden. Zumal die beiden bisher wohl nicht das beste Verhältnis hatten. Daher konnte sie seinen Wunsch mit ihm in Verbindung zu treten, um ihm zu helfen und mit ihm zu reden, gut verstehen. Vor allem, wenn es möglicherweise die letzte Gelegenheit für Vater und Sohn war, ihre Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten aus der Welt zu räumen.

John war schon als kleiner Junge ein Kämpfer und Carol war sich sicher, dass er auch im Erwachsenenalter seine Ellenbogen einsetzen und für seine Überzeugungen, Grundsätze und Ziele kämpfen würde. Doch der Zwischenfall vor einigen Tagen, als er von diesem Wraith angeschossen wurde, zeigte ihr, dass John wohl auch schon das eine oder andere Mal um sein Leben kämpfen musste. Er würde es nun wieder tun. Dieses Mal war er jedoch nicht alleine und das beruhigte Carol und ließ sie hoffen.

 ~~~///~~~

-„So sehr ich mir das hier gerne ansehen würde, John, ich glaube nicht, dass es das ist, was dir hilft. Versteh mich nicht falsch, dein Gesichtsausdruck, den du aufgelegt hattest, als du in dem Stuhl gesessen bist, war wirklich … unbezahlbar, aber … diese Art von Erinnerung funktioniert wohl nicht besonders, was die Ausschüttung der nötigen Endorphine betrifft.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte John misstrauisch. Es dauerte etwas bis Sheppard Senior antwortete.

„Deine Mutter hat es mir mitgeteilt. Gerade eben. Ich kann alles hören, was man mir sagt und was in meiner Umgebung auf der Krankenstation geschieht. Sie hat mir gerade mitgeteilt, dass vorhin das Wachstum des Erregers für winzige Augenblicke ganz leicht zurückging, aber jetzt passt er sich wieder an … wir brauchen mehr als das, John. Wir brauchen … „

„Schlimmeres?“, schlussfolgerte John und wandte sich wieder von seinem Vater ab.

„Denkst du, das geschieht, um dich zu quälen? Die Produktion eines künstlichen Endorphins, das gegen den Erreger vorgeht, würde zu lange dauern. Ich habe dir schon mal erklärt, dass-“

„Ja ja, ich weiß. Uns läuft die Zeit davon“, gab John in einem bitteren Ton zurück. Kurz darauf veränderte sich erneut die Umgebung und die beiden sahen sich wieder den Fragmenten gegenüber.

„Also das nächste …“

Patrick fiel auf, dass John unentwegt auf eines der größeren Splitter starrte, doch er konnte den Ausdruck in Johns Augen nicht richtig deuten. Er war sich jedoch im klaren, dass es mit Sicherheit nichts angenehmes sein konnte.

Alleine das Bild, das auf dem Splitter zu sehen war, bescherte ihm eine Gänsehaut. Auch wenn er sich immer wieder ins Gedächtnis rief, dass es wild zusammengewürfelte Bilder waren, die meist mit unrealistischen Beilagen geschmückt waren, so konnte auch er nicht mehr seinen Blick von dem viel zu alt wirkenden Mann wenden.

„John wer ist der Mann? Was ist da passiert?“

„Das war bei unserem ersten Außenwelteinsatz. Als wir in Atlantis ankamen, war die Stadt unter Wasser und wurde mit einem Schutzschild geschützt. Aber die Energie reichte nicht mehr aus. Wir sollten sofort einen anderen Planeten finden, um die Expeditionsmitglieder zu evakuieren. Doch kaum waren wir auf Athos angekommen, kamen auch schon die Wraith und haben einige von den Athosianern und uns aufgesammelt. Er war einer davon. Wir konnten ihnen zwar auf ihr Schiff folgen und Ford und ich konnten uns rein schleichen und einige befreien, aber …“

„Aber was?“

„Sie haben schon einen Athosianer getötet und waren gerade dabei, sich an Sumner zu nähren und ihn zu verhören.“

„Aber du hast es nicht mehr geschafft ihn zu befreien?“

Eine ganze Weile schwieg John, was Patrick immer mehr beunruhigte.

„John? … Sie haben sich so sehr an ihm genährt und ihm so viel an seiner Lebenskraft entzogen, dass er vermutlich nicht überlebt hätte.“

„Er war damals der leitende Militärkommandant der Expedition. Er war mein vorgesetzter Offizier … und ich habe ihn getötet.“

„Ich bin sicher, du hast alles in deiner Macht stehende getan um ihn zu retten, aber du hast ihn mit Sicherheit nicht …“

„Du verstehst nicht … ich habe ihn erschossen, Dad!“-

~~~///~~~

„Er hat was?“, entfuhr es Carol, die der Aussage ihres Sohnes nicht so recht glauben schenken wollte.

„Es war … zu diesem Zeitpunkt … verstehen Sie, man hätte für Colonel Sumner nichts mehr tun können. Es war … so etwas wie ein Akt der Gnade …“, versuchte Richard zu erklären. Doch, noch bevor er weitersprechen konnte, tauchten Patrick und John in das Ereignis ein.

~~~///~~~

-„Du hast … aber doch nicht mit Absicht“, wisperte Patrick und sah beinahe fassungslos zu seinem Sohn, der stur auf sein Ebenbild starrte, das über den Boden kroch.

–John robbte immer näher an die Brüstung, während im Hintergrund das schmerzerfüllte Stöhnen seines Vorgesetzten zu hören war. Zum ersten Mal sah John, wie sich ein Wraith an einem Menschen labte, dann eröffnete er das Feuer auf den weiblichen Wraith, was dieser offenbar nicht allzu viel auszumachen schien. Stattdessen fauchte sie vor Wut auf und nährte sich weiter an Sumner. Danach konnte John zwei weitere erschießen, musste aber noch einem Stunnerschuß ausweichen.

Doch Sumner hatte sich schon zu sehr verändert. Er war rapide gealtert, jedoch konnte er John auf dem oberen Deck ausmachen und ihm ein kaum merkliches Zeichen, ein winziges Nicken, signalisieren.

John haderte einen Moment, wusste er doch, was von ihm verlangt wurde. In Bruchteilen von Sekunden wägte er Chancen und Möglichkeiten ab und gab dann der stummen, verzweifelten Bitte seines Kommandanten nach.

Ein Schuss, direkt durch die Hand des weiblichen Wraith in Sumner Herz, beendete augenblicklich dessen Qual und auch der Wraith hatte keine Möglichkeit mehr sich zu nähren. John wollte sich schon zurückziehen, doch plötzlich traf ihn eine ungeheure Schmerzwelle, die ihn augenblicklich das Bewusstsein raubte.—

Patrick schluckte hart und sah zögerlich zu John, der ihm und dem am Boden liegenden Sumner den Rücken gekehrt hatte.

„Es war sein Wunsch, John. Er hat es dir doch praktisch … befohlen.“

„Was es nicht besser macht. Ich habe schon oft … ich habe viele Menschen …“

John suchte nach Worten. Worte, die seinem Vater beibringen sollten, dass er schon oft und viele Menschen getötet hatte. Auch wenn es meist bedingt durch entsprechende Befehle geschah. Er war aber auch schon mehrmals in Situationen, in denen es allein um Notwehr ging.

Aber er hatte noch niemals solche Probleme gehabt, als nach diesem Schuss.

„Du handelst auf Befehl! Oder in Notwehr, Selbstschutz! Du beschützt die Menschen in deiner Umgebung. Du bist Soldat, John. Das gehört … dazu. Manchmal gibt es eben … Situationen, die …“

Die Worte seines Vaters klangen, als kämen sie geradewegs aus seinem eigenen Kopf und doch hatte er sie nicht selbst aussprechen können und es machte die ganze Sache auch nicht unbedingt leichter für ihn.

„Jeden Abend, wenn ich ins Bett gehe und die Augen schließe, dann …“

John war sich sicher, dass er diese Bilder niemals wieder aus dem Kopf bekommen würde. Selbst heute gab es noch Tage, an denen er Sumner vor sich sah. Alt, stöhnend und wimmernd vor Schmerz und dem Tode näher als dem Leben. Er hörte den Schuss und an manchen Tagen glaubte er sogar, noch den Abzug am Finger zu spüren und das Eindringen der Kugel zu hören.

Die Bilder tauchten in der Vergangenheit zwar immer seltener auf und auch die Albträume hatten nachgelassen, doch nun wieder diese Situation zu erleben oder besser gesagt, sie nach zu verfolgen, würde alles wieder hochwühlen. Er würde dieses Erlebnis niemals loswerden.

„Du hast auf seinen Befehl, auf seine Bitte hin gehandelt. Das war kein Verbrechen. Es wäre erst dann eines, wenn du nichts unternommen hättest. So wie dieser Wraith sich an ihm … genährt hat, hätte niemand ihm noch helfen können. Er hätte vermutlich noch nicht einmal die Flucht überlebt, falls ihr es überhaupt da raus geschafft hättet. Das wusste er wohl. Auch er hatte sich bestimmt ausgerechnet, wie seine Chancen standen. Er wusste, dass er es nicht schaffen würde, aber du … hattest noch eine Chance, dich und die anderen zu befreien und abzuhauen.“

„Das weiß ich doch alles! Das habe ich mir schon damals von Weir und den anderen anhören müssen und trotzdem … lass uns einfach weitermachen“, stöhnte John und wollte dieser Szenerie nur noch so schnell wie möglich entkommen.

„Was ist danach passiert?“, fragte der Vater, als er sah, wie sehr es John zu schaffen machte.

„Ich hatte einen kleinen Plausch mit dieser … Wächterin“, erinnerte sich John und sah, wie sein zweites Ich von zwei Wraith in den Raum geschleift und auf den Tisch gedrückt wurde.

–„Wie geht´s Ihrer Hand?“, fragte John und versuchte gegen die Hand an seiner Kehle zu kämpfen. Doch der Griff war viel zu stark.

„Schon viel besser“, entgegnete der weibliche Wraith höhnisch grinsend und präsentierte ihre schnell heilende Hand.

„Tut mir leid, das zu hören.“

„Wie ist das in deinen Besitz gelangt?“, fragte die Wraithhüterin, als sie den Lebenszeichendetektor in Johns Weste fand.

„Das weiß ich nicht mehr“, antwortete John, worauf die Wraithhüterin wütend fauchte und sich daran machte, sich an John zu nähren. Mehrere Schüsse aus einer Waffe trafen die Wraithwachen, sodass John sich befreien konnte.

–„Jagt es hoch!“, befahl John über Funk und rollte sich vom Tisch.

Einige Explosionen waren zu hören und ließen die Einrichtung erbeben und den weiblichen Wraith in Wut aufschreien, während John sich eine Waffe der Wraith hatte schnappen können.

Er nutze die Ablenkung und Unaufmerksamkeit seiner Gegnerin und rammte ihr die Waffe mit der Spitze voran in den Leib.

„Das muss dich erledigen“, entgegnete John und sah zu, wie der weibliche Wraith zunächst leblos zu Boden fiel.

„Wie haben Sie mich gefunden?“

„Fußabdrücke. Routinesache, Sir und jetzt los.“

Doch kaum, dass sich John abwenden und mit Ford verschwinden wollte, rührte sich der Wraith noch ein letztes Mal.

„Ihr wisst nicht, was ihr angerichtet habt. Wir sind bloß die, die Wache halten für diejenigen, die schlafen. Durch meinen Tod werden die anderen erwachen … und zwar allesamt.“—

Alle Wraith sind aufgewacht?“, fragte Patrick ungläubig und bemerkte Johns geballte Fäuste und seine mahlenden Kiefer, wobei er in seinen Augen Schuldgefühle und auch einen gewissen Schmerz erkennen konnte.

„Ja. Dadurch, dass ich ihre Wächterin oder was auch immer getötet habe, sind nicht nur die Wraith in diesen Kammern aufgewacht. Sondern alle Wraith in der Galaxie.“

„Aber dass konntest du nicht wissen“, antwortete Sheppard Senior schnell.

„Nein. Das konnte niemand wissen.“

Patrick nickte leicht, als er merkte, dass John wohl etwas anderes bekümmerte. Doch um mehr zu erfahren, mussten sie weitergehen. John musste sich an mehr erinnern.

„Wie ging es weiter? Seid ihr da wieder rausgekommen?“

„Ja. Ford hat mit C4 die anderen aus ihrer Zelle bringen können. Wir haben uns dann unterwegs getroffen und sind zum Jumper zurück. Das war aber noch der relativ einfache Teil. Zurück nach Atlantis zu kommen, war schwieriger“, erinnerte sich John, worauf sich die Umgebung erneut veränderte.—

~~~///~~~

Auch im Intensivraum konnte Carol die visuelle Wiedergabe von Johns Erinnerungen verfolgen, doch spätestens in dem Moment, in dem sie sah, wie ein Wraith sich an Johns Vorgesetzten nährte, wurde ihr ganz anders zumute. Ihr blieb nichts anderes mehr, als auf den Stuhl zurückzusinken. Auch wenn sie alles versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, so war doch der Moment, in dem John auf Colonel Sumner schoss, bisher der schlimmste. Für einen Moment glaubte sie, dass ihr Herz stehen geblieben sei. Sie ging durch ein Wechselband der Gefühle: Entsetzen darüber, dass ihr Sohn zum Mörder geworden war. Dann meldete sich die Stimme ihres Verstandes – der Colonel wäre nicht mehr zu retten gewesen, nach allem, was sie über die Wraith erfahren und was Richard Woolsey ihr erzählt hatte, auch wenn es recht wenig war. Aber dennoch – rechtfertigte dass diesen Gnadenschuss? Dazu kamen Hilflosigkeit, Sorge und eine gewisse Erleichterung, denn ihr Sohn war trotz allem keine kaltblütige Killermaschine. In seinen Augen hatte sie sehen können, wie sehr er unter der Entscheidung litt und sie nicht auf die leichte Schulter nahm.

Auch Patricks Worte, die er an seinen Sohn richtete, um ihm beizustehen, schien sie etwas zu beruhigen und ließ sie wieder Kraft schöpfen, um einmal mehr tief durchzuatmen und sich wieder den beiden zu widmen. Ein ungeheurer innerer Drang zwang sie, nach Johns Hand zu greifen und sie zu drücken, in der Hoffnung, dass er sie doch wahrnehmen konnte und wüsste, dass er nicht alleine sei.

Wieder sah Carol zum Bildschirm und verfolgte den rasanten Kampf, den John gegen die feindlichen Wraithjäger führte.

Auch das restliche Team, sowie die Antiker, die noch immer im Beobachtungsraum waren, sahen gebannt zu den Bildschirmen. Obwohl Tristanius´ Blick nicht zu deuten war, konnten Richard und auch Alexa dennoch erahnen, was dem General gerade durch den Kopf gehen könnte.

Alexa war nicht entgangen, wie sich seine Augen verengten und sich seine Haltung veränderte, als er den Schuss auf Sumner verfolgte.

Während sie sich selbst und auch andere sicher waren, dass es Sumner´s stummer Befehl oder vielmehr ein Wunsch war, schien ihr Vater einige Probleme damit zu haben. Es war ihr nicht entgangen, das er John in der Vergangenheit immer wieder mit prüfenden und kritischen Blicken bedachte und auch nicht gerade begeistert von ihm zu sein schien. Doch Alexa wollte nicht so recht daran glauben, dass es möglicherweise Misstrauen oder Argwohn sein könnte.

Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken in ihm zu lesen, doch er würde es sofort spüren. Aus irgendeinem Grund konnten nur ihr Vater und John spüren, wenn sie versuchte, deren Emotionen zu erfühlen. Warum auch immer. Sie entschied sich, ihn stattdessen weiterhin zu beobachten. Vielleicht würde sie auch so das eine oder andere herausfinden.

Gemeinsam mit den anderen sah auch sie, wie John sich auf eine gefährliche Jagd mit dem Jumper gegen die Wraithjäger eingelassen und den ersten Wraithjäger eher durch Zufall abgeschossen hatte. Danach hatte er schon mit gezielter Präzision einen Jäger nach dem anderen vernichtet und bewies einmal mehr seine Flugkünste als Pilot. Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt erst die ersten Erfahrungen mit dem Jumper machte.

Wieder schielte Alexa zu ihrem Vater, der nun beinahe gebannt das Katz und Mausspiel zwischen dem Jumper und den Jägern verfolgte.

Auch wenn man es nur aus der Sicht von Patrick und John sehen konnte, die hinter dem Pilotensitz des Jumpers standen und durch die Frontscheibe die Vernichtung der Wraithgleiter beobachteten.

~~~///~~~

-„Du fliegst wie der Teufel!“, meinte Patrick und suchte fast panisch nach einem Halt.

Doch wieder stellte er fest, dass er im Grunde gar nichts vom Flug spürte. John hingegen stand angelehnt und mit verschränkten Armen an der eingefahrenen Spundwand und beobachtete angespannt die ganze Szenerie.

„Was hätte ich denn tun sollen? Ich musste erst ein paar Wraith da wegjagen und sie erledigen, bevor wir auch nur ansatzweise in die Nähe de Gates gelangen konnten.“

„Oh nein, John! Du hast doch nicht etwa…? Du bist doch …“-

~~~///~~~

„Viel zu schnell! Viel zu schnell!“, kommentierte Dorian und verzog leidig das Gesicht, als er sah, wie der Jumper mit hohem Tempo auf das Stargate zuhielt und hinein flog.

„Das geht nicht gut! Das geht nicht gut!“

In Erwartung, dass der Jumper mit vollem Tempo aus dem Gate fliegen und in die große Treppe krachen würde, verzog Dorian noch mehr das Gesicht und wollte so gar nicht richtig hinsehen. Doch er konnte seinen Blick nicht wirklich vom Bildschirm lassen.

„Verdammt!“, entfuhr es ihm laut, als er sah, wie John nur wenige Zentimeter vor der Treppe mit dem Jumper eine Vollbremsung hinlegte.

„Der Colonel kann es offensichtlich noch besser als du!“, staunte Dorian begeistert und grinste seine Schwester frech an. „Du bist damals in die Treppe reingekracht.“

„Ich war verletzt und konnte mich nicht richtig konzentrieren.“

„Ja natürlich“, kommentierte der junge Antiker lachend und wandte sich noch immer erstaunt und grinsend an seinen Vater, der ihn allerdings mit einem ernsten Blick bedachte und ihm somit wieder auf den Boden brachte.

„Ich … äh, ich gehe mal nach den Geräten sehen“, brachte Dorian daraufhin verlegen hervor und verschwand eilig aus dem Beobachtungsraum.

Kopfschüttelnd blieb Alexa zurück. Im gleichen Augenblick jedoch sah sie, wie ihr Vater gedankenvoll nach unten in den Intensivraum blickte. Sie konnte nicht mehr verhindern, in ihm zu lesen. Doch sie empfing einfach zu viele Emotionen, keine davon war klar und keine Einzige konnte sie aufgreifen und genauer ergründen. Gerade als sie es erneut versuchen wollte, blickte Tristanius zu ihr.

Er sprach jedoch kein Wort. Sein Blick war nicht mehr ernst und er schien auch nicht erbost zu sein und doch wusste sie ihn in diesem Moment nicht richtig einzuschätzen.

Tristanius hingegen sah ihr verwirrt nach, als sie schnell aus dem Beobachtungsraum eilte und kurz darauf am Eingang zum Intensivraum erschien..

„Warum versucht sie, in mir zu lesen? Sie weiß doch, dass ich es spüren kann.“

„Vielleicht spürt sie, dass du etwas zurückhältst. Oder dass du den Menschen hier noch immer nicht genügend Vertrauen entgegen bringst. Schon gar nicht Colonel Sheppard. Sie fragt sich wohl, warum das so ist, denn dein Verhalten in letzter Zeit erscheint ihr fremd. Und mir auch“, erklärte Elisha leise in ihrer Muttersprache und verließ ebenfalls den Raum.

~~~///~~~


-John und sein Vater befanden sich wieder bei den Fragmenten, als in Patrick weitere Fragen aufkamen.
 

„Was ist eigentlich mit diesem Ford? Ich habe den Burschen noch kein einziges Mal gesehen, seit ich hier bin.“

„Was daran liegt, dass er tot ist. Höchstwahrscheinlich“, antwortete John und berührte sogleich das entsprechende Fragment, was die beiden sofort in eine andere Umgebung brachte.

„Einige Monate nach unserer Ankunft in Atlantis griffen die Wraith an. Sie haben uns belagert, versuchten uns zu vernichten und über das Stargate zur Erde zu kommen. Das Stargate in Atlantis ist das einzige Gate in der Pegasus-Galaxie, das ein Wurmloch zur Erde öffnen kann“, erklärte John, während er und sein Vater dem Szenario folgten, das sich ihnen bot.

„Die Erde hat durch ein ZPM, dass in Ägypten gefunden wurde, eine Verbindung zu uns aufbauen können und schickte Verstärkung und eine Menge an Waffen. Die Deadalus, eines unserer Schiffe, hat das ZPM dann genutzt, um zu uns zu kommen und uns zu unterstützen, aber bis dahin mussten wir alleine mit den Wraith fertig werden, die schon in die Stadt eingedrungen waren. Es waren einige Truppen unterwegs um sie aufzuspüren und unschädlich zu machen. Ford leitete einen Trupp. Es kam wohl zum Kampf und einer der Wraith kam ihm zu nahe. Er wollte sich an ihm nähren. Sie sind beide durch eine Explosion ins Meer gestürzt. Als die Deadalus ankam, hat man ihn rausbeamen können. Der verdammte Wraith hing immer noch an ihm. Er hat die volle Ladung Enzym abbekommen und sollte dann einen Entzug machen. Aber Ford hat die Kontrolle über sich verloren. Er wurde aggressiv, handelte völlig irrational. Er hat sich ein Jumper geschnappt und ist abgehauen.“

„Er ist desertiert?“

„Sozusagen, ja“, antwortete John und beobachtete mit seinem Vater, wie sein Ebenbild zunächst durch die Flure von Atlantis schlich, auf der Jagd nach Ford und dann wie dieser schließlich mit dem Jumper durch das Gate verschwand.

„Und du hast ihn gesucht“, nahm Patrick an und sah, wie John einmal mehr schluckte.

„Natürlich. Wir gingen Hinweisen nach und nach einigen Schwierigkeiten konnte ich ihn auf einem Planeten stellen. Er hatte versucht, McKay davon zu überzeugen, dass das Enzym große Vorteile bieten würde. Aber … kaum stand ich vor ihm … tauchten die Wraith auf, da sie auf der Suche nach Ronon waren. Ford ist mitten in den Beamstrahl der Wraith gerannt, um zu entkommen. Es hatte Monate gebraucht, bis wir wieder auf ihn trafen. Und dann ging der Trouble erst richtig los.“

Wieder veränderte sich die Umgebung und Patrick starrte auf das Ebenbild seines Sohnes, der mit seinem Team wohl in eine Falle gelockt worden war und von mehreren Männern betäubt wurde.

Er verfolgte die Geschehnisse um die Gefangennahme durch Ford und seine Männer. Er hörte, wie dieser versuchte, sie durch das Gerede um die positiven Aspekte des Enzyms auf seine Seite zu ziehen und Teyla, Ronon und anfangs auch McKay davon abhängig machte und sie mit allen Mitteln zu einem Angriff auf ein Basisschiff zu überzeugen.

–„Schön. Wo haben Sie den her?“, hatte John gefragt und besah sich zum ersten Mal einen intakten Wraithjäger aus der Nähe.

„Ist das wichtig?“, lautete Fords Gegenfrage, worauf sich ein Mann Namens Kanayo zu Wort meldete.

„Keiner von uns kann ihn besonders gut fliegen. Wurde bei den letzten Ladungen ziemlich lädiert. Hat ein paar Reparaturen nötig.“

„Und einen echten Piloten“, stimmte Ford wieder zu.

„Deswegen haben Sie uns hergeholt“, schlussfolgerte John.

„Deswegen habe ich bis jetzt gewartet, ja.“

„Er hofft, dass der ihn reparieren kann“, kommentierte Kanayo und tippte dabei auf McKay.

„Kann er. Sie sind die besten auf ihrem Gebiet“, versicherte Ford seinem Kameraden Kanayo.

„Hören Sie, Sie fliegen, sammlen uns auf und setzen uns auf dem Basisschiff ab. Wir müssen nur kurz die Ladungen deponieren. Bevor die Wraith wissen, was los ist, sind wir wieder draußen.“

„Ist perfekt“, gab Ford freudig bekannt, doch McKay wollte ihm den Wind aus den Segeln nehmen.

„Der Plan ist überhaupt nicht perfekt.“

„Aber er ist machbar“, kommentierte John.

„Colonel …“, wandte Teyla zweifelnd ein und wurde von McKay unterbrochen.

„Ziehen Sie das ernsthaft in Erwägung?“

„Sie würden sich sonst an Tausenden nähren“, antwortete John auf Rodneys Frage.

„Ja und das tut mir auch leid, aber das ist Wahnsinn.“

„Vielleicht auch nicht.“

„Jace hat versucht es hinzukriegen, aber er ist nicht Sie, McKay“, versuchte Ford den Wissenschaftler zu überzeugen. „Kriegen Sie es hin?“

„Nein, vermutlich nicht.“

„Das heißt meistens ja“ gab John zurück.

„Ich denke, Sie kriegen als Einziger nicht das Enzym. Sie sollten hier die klare Stimme der Vernunft sein.“

„Können Sie es reparieren?“, fragte Ford ein letztes Mal.

„Selbst wenn, würde ich es nicht tun. Sie können mich dopen, so viel Sie wollen, ich mach das nicht!“ brachte McKay aufgeregt hervor und stapfte davon.

„Hach, ich rede mit ihm. Der macht das schon“, entgegnete John und rannte McKay hinterher.

„Rodney-„

„Vielleicht kriegen Sie doch das Enzym. Vielleicht hat Ford gelogen, denn kein normaler Mensch hält das für einen guten Plan.“

„Hören Sie, ich weiß, dass eine Million Dinge schief gehen können, aber jetzt … Stop! Hören Sie doch mal zu! Mit dem Jäger könnten wir alle fliehen. Ich weiß, das ist riskant, aber Ford steht neben sich, also …„

„Wovon reden Sie überhaupt?“

„Ich verlange, dass sie alle auf die Mission mitkommen. Ich sammle Sie auf und statt auf das Wraithschiff, fliegen wir dann nach Atlantis.“

„Wie?“

„Dieser Jäger hat doch sicher sein eigenes DHD, oder?“

„Natürlich.“

„Machen Sie das Ding flugtauglich, damit wir nach Hause kommen!“

„Ja klar, natürlich“, stöhnte McKay. „Sehen Sie? Darauf wäre ich auch gekommen, bevor ich ein Drogensüchtiger war.“

„Davon bin ich überzeugt.“

„Es tut mir Leid“, entschuldigte sich Rodney und machte sich zusammen mit John wieder auf den Weg zu den anderen. „Na schön, okay.“—

„Das war dein Plan?“, fragte Patrick und sah mit leichtem Zweifel zu John.

„Das war mein Plan.“

„Hat nicht funktioniert?“

„Nein. Ford hat damit gerechnet, dass wir versuchen würden zu fliehen. Er hat das DHD so eingestellt, dass es nur zum Basisschiff und zurück zu diesem Planeten führte. Wir mussten auf diese Mission.“

„Und es ging schief?“

„Als ich mit diesem Jäger im Basisschiff ankam, habe ich aus Versehen den Alarm ausgelöst. Es kam zu Kämpfen mit den Wraith und wir wurden schließlich alle gefangen genommen. Aber Ronon sei Dank, konnten wir aus der Zelle abhauen … “, erklärte John und sah wie sein Vater über Ronon staunte, der aus den verworrensten Winkeln seiner Haare und anderer Stellen, ein Messer nach dem anderen hervor gezaubert hatte.

„Es hat allerdings nicht lange gedauert und wir fanden weitere Gefangene in diesen Kokons. Wir hatten gedacht, wir könnten sie befreien und abhauen, aber wir wurden wieder geschnappt und getrennt. Als bei Ford Entzugserscheinungen auftraten, hat man ihn aus der Zelle gebracht, aber der verdammte Hundesohn hat sich später befreien können. In der Zwischenzeit habe ich herausgefunden, dass die anderen Gefangenen in Wirklichkeit keine Gefangenen waren so wie wir, sondern Wraithanbeter, die auf diese Weise an Informationen kommen sollten.“

–„Sollen wir jetzt reden?“, fragte die Wraithkönigin, als man John wieder in den großen Raum brachte.

„Worüber?“

„Du bist störrisch.“

„Ja, das bin ich und äh … sie ist übrigens ziemlich hübsch … Neera, die Kleine, die wir aus dem Kokon befreien sollten, nachdem du uns hast entkommen lassen. Die Informationen aus mir rausholen sollte. Doch das klappt nicht.“

Neera trat in den Raum, worauf John sich zu ihr umdrehte.

„Ah, wer sagt´s denn? Das mit dem freien Platz kannst du vergessen, aber es war immerhin ein netter Versuch. Ich wusste, es muss einen Grund geben uns ausbrechen zu lassen, aber das war eine zirkusreife Vorstellung. Wo hat ihr sie aufgetrieben?“

„Sie ist eine von Abertausenden, die uns zu Diensten sein wollen, die uns sogar anbeten. Sie gehorchen mir und ich lasse sie am Leben.“

„Eine Wraithanbeterin? Wow!“

„Die Prophezeiung des großen Erwachens hat sich erfüllt. Das Ende aller Tage der Sterblichen-„

„Ja ja ja, das ist mir bekannt, weil ich … weil ich dazu gehöre. Doch bei mir geht’s weniger um Anbetung, als vielmehr um eine bedeutungsvolle Geschäftsbeziehung.“

„Du lügst!“

„Okay. Sag mir eins. Wie konnte ich wohl an einen von euren Jägern gelangen? Und wer konnte mich wohl mit detaillierten Anleitungen versorgen, wie man sich in dein Schiff einschleicht und es zerstört?“

„Von welcher der Königinnen sprichst du?“

„Es gibt doch ein Fenster auf deinem Kahn, oder? Sieh mal raus. Das andere Bassschiff will mit ausdünnen. Doch wenn man nicht teilt, kann man sich an mehr Menschen nähren.“

„Darauf spreche ich sie an.“

„Du glaubst doch nicht, dass sie zugeben wird, dich umbringen zu wollen, oder?“

„Es reicht! … “, fauchte die Königin und versuchte, sich wieder in Johns Verstand einzuklinken. „Ich werde deinen Widerstand auskosten!“—

„Wie ich sagte, Ford konnte sich irgendwie befreien und kam gerade im rechten Augenblick“, erzählte John weiter und erinnerte sich daran, dass Ford ihm damals seine Einsatzweste und Ronon´s Waffe übergab.

„Wir haben uns dann auf die Suche nach Teyla und Ronon machen wollen, aber Ford meinte, er würde die Wraith aufhalten und käme nach… das war das letzte Mal, dass ich ihn lebend sah.“

„Wie seid ihr da raus gekommen?“, wollte Patrick wissen, sah aber schon, wie sein Sohn mit seinen Kameraden bei diesen Jägern ankam und in den nächstbesten einstieg, seine Leute einsammelte und das Basis schiff verließ.

Am meisten verwunderte es die beiden aber, als sie sich urplötzlich in den Weiten des Weltalls wiederfanden und einen Kampf zwischen zwei Basisschiffen beobachteten.

„Sag bitte nicht, dass du da mittendrin warst“, japste Patrick, als er sah, mit welcher Erbarmungslosigkeit und Härte die beiden Gegner gegeneinander kämpften.

„Ich dachte mir, wenn schon ein zweites Basisschiff auftaucht, könnte ich die beiden dazu bringen, sich gegenseitig zu beschießen. Mit ein bisschen Glück vernichten sie sich gegenseitig.“

„Und das hat … offenbar funktioniert“, entfuhr es Patrick staunend, als die beiden Basisschiffe explodierten.-

Noch immer stand Alexa im Intensivraum und beobachtete die Ärzte und Pfleger bei ihrer Arbeit, aber auch ihre, als auch und Colonel Sheppard´s Mutter. Doch gerade, als sie sich wieder John widmen wollte, empfing sie erneut merkwürdige Empfindungen, die ihrem Vater zu gehören schienen. Noch immer konnte sie sie nicht richtig deuten und bestimmen, sein Blick jedoch zeugte beinahe von Überraschung und Erstaunen, als er auf den Bildschirm starrte und die visuelle Wiedergabe von Johns Erinnerung an den Kampf gegen die Wraith und deren Schiffe mitverfolgte.

Sie wusste nicht so recht, ob er nun über Johns Flugkünste und Fähigkeiten staunte, oder über seinen Überlebensinstinkt und Ideenreichtum, die Königinnen der beiden Schiffe gegeneinander aufzuhetzen.

Die Emotionen waren nicht klar zu erkennen und zu erfassen, aber sein Gesicht sprach dafür Bände. Sie wusste, dass er mitunter immer die rechte Augenbraue hochzog, wenn ihm etwas gefiel, sich freute oder angenehm überrascht war oder gar über etwas staunte oder auch grübelte. Genauso so tat er es jetzt, auch wenn er versuchte sich nichts anmerken zu lassen und weiter auf den Bildschirm starrte.

-„John, was hat es eigentlich genau mit diesen Wraith auf sich? Ich meine, wo kommen sie her? Warum nähren sie sich an Menschen?“, wollte Patrick wissen und hoffte mehr aus John heraus zu bekommen.

Nach anfänglichem Schweigen und Hadern und einem mehr als kritischen Blick zu seinem Vater, entschied John sich, mehr zu erzählen. Zumal John sich immer bewusster darüber wurde, dass dieser früher oder später ohnehin mehr oder gar alles erfahren würde.

„Wir haben die Theorie, dass die Wraith durch einen Fehler oder einen Unfall durch die Antiker entstanden. Irgendwie muss sich die DNS der Menschen mit der eines … Riesenkäfers gemischt haben und über die Generationen entstanden dann die Wraith“, erklärte John kurz und knapp, wobei er jedoch wusste, dass sein Vater sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben würde.

„Riesenkäfer? Du meinst das Ding, das ich auf einem der Splitter gesehen habe?“

„Ja.“

Wieder veränderte sich die Umgebung, sodass John und sein Vater vor einem bestimmten Splitter standen.

„Deine Mutter hat mir gesagt, dass es im menschlichen Unterbewusstsein chaotisch aussehen kann und deines scheint wohl das perfekte Beispiel dafür zu sein. Sie meinte, dass nichts zum anderen gehört und alles miteinander verschmelzen kann. Daher gehe ich davon aus, dass dieser Käfer nicht wirklich an deinem Hals hängt … oder?“

John antwortete nicht und berührte stattdessen einfach das entsprechende Fragment und ließ sich mit seinem Vater in die nächste Erinnerung führen.-

„Oh mein Gott!“, entfuhr es Carol laut, als sie auf dem kleinen Bildschirm ihren Sohn am Boden liegen sah. Mit dem Käfer, der sich in seinem Hals verbissen hatte.

Mit Entsetzen verfolgten Carol und Dave die Geschehnisse aus Johns Erinnerung, sahen zu, wie Ford und Teyla die Anweisungen von Carson Beckett nachgingen und alles versuchten, dieses Ungetüm von John herunter zu bekommen. Doch erst als John selbst vorschlug, den Defibrillator zu benutzen, konnte Carol nicht mehr an sich halten.

„Das kann doch nicht wahr sein. Er hat doch nicht wirklich … oder?“

Verzweiflung, vor allem aber Unglaube ließen sie verwirrt in alle Richtungen blicken. Doch das Team entschied sich, den Beobachtungsraum zu verlassen und sich nun ebenfalls in den Intensivraum zu begeben. Jennifer gab es auf, nur auf das nötigste Personal zu bestehen. Johns Mutter würde nicht von der Seite ihres Sohnes und auch nicht von der ihres Mannes weichen und Alexa … ehrlich gesagt, wusste sie nicht so recht, warum Alexa sich hier aufhielt. Die Emotionen der beiden konnte sie auch vom Beobachtungsraum aus beobachten. Vielleicht war es aber auch mehr die Tatsache, dass Alexa der Nähe ihres Vaters entgehen wollte. Der Mann wirkte noch immer etwas angespannt, auch wenn seit kurzen doch eine kleine Besserung eintrat und ein leichteres Auskommen mit ihm möglich schien.

„Es war die einzige Möglichkeit, das Ding von ihm runter zu bekommen. So verrückt es klingt, aber der Iratuskäfer ist genetisch mit den Wraith verwandt. Wir vermuten sogar, dass sie die evolutionären Vorfahren der Wraith sind“, erklärte Rodney, wobei sich Teyla dann anschloss.

„John wusste, dass es die einzige Möglichkeit war, den Käfer loszuwerden.“

„Und was wäre gewesen, wenn Doktor Beckett ihn nicht mehr hätte reanimieren können? Wenn John es nicht geschafft hätte?“, wisperte Carol und konnte sich nur mit Mühe zurückhalten.

„Er hat es aber. Er ist stark und sein Wille ebenso.“

„Das klingt schon fast, als ob er schon des Öfteren in solchen oder ähnlichen Situationen war“, erwiderte Carol und sah abwartend zu Teyla.

Die Athosianerin verstand nur zu gut. Doch in Anbetracht dessen, dass die Mutter mittlerweile gerade mal einen Bruchteil dessen wusste, was John schon alles durchgemacht hatte, verkniff sich Teyla weitere Kommentare.

Carol hörte, wie Patrick mit John über seine Erlebnisse sprach und sich weiter über diese Kreatur informierte, was dazu führte, dass die beiden in die nächste Erinnerung katapultiert wurden.

Man sah, wie John mit erhobener Waffe durch einen Wald streifte und offenbar auf der Suche nach jemanden war, der den Namen Ellia trug. Die Mutter schrak auf, als sich dieser weibliche Wraith auf John stürzte und ihn am Arm verletzte. Nur durch Ronon´s Hilfe, war es möglich, sie unschädlich zu machen.

Für Carol blieb allerdings keine Zeit aufzuatmen. Immer wieder versuchte sie sich selbst zu beruhigen und einzureden, dass es jedes Mal gut ausgegangen sein musste. Immerhin schien es John bei ihrem ersten Wiedersehen nach ihrem Auf- und wieder Abstieg gut zu gehen. Nichts deutete irgendwie auf mögliche Folgeschäden hin. Weder körperlich noch seelisch. Und doch wuchs ihre Sorge immer weiter.

Erst recht als sie sah, wie John sich plötzlich verändert hatte. Angefangen von seinem merkwürdigen Verhalten Teyla und den anderen gegenüber, seinem Ausschlag an seinem Arm, bis hin zu einer leicht blau bis grünlichen Farbe seiner Haut, die schon teilweise eines Insekts glich. Ganz zu schweigen von seinen angsteinflößenden, gelben, fast katzenähnlichen Augen. Doch es war Johns Verhalten, besonders seine Aggressivität und seine Gewaltbereitschaft, was Carol die Fassung verlieren ließ. Entsetzt hielt sie sich die Hand vors Gesicht und verließ eilig das Intensivzimmer.

Dave, der noch immer im Beobachtungsraum stand und zu seiner Familie herab sah, ging es in diesen Momenten nicht viel anders und doch machte er sich schleunigst auf den Weg zu seiner Mutter, die er kurz darauf leise schluchzend vor dem Intensivzimmer vorfand.

„Mom? … Mom“, sprach Dave leise, als er sah, wie Teyla versuchte, seine Mutter zu beruhigen und zu trösten. Schnell schlang sie ihre Arme um ihn und ließ sich in eine feste Umarmung ziehen.

„Oh Dave … das kann doch alles nicht wahr sein. Das ist … das ist alles so … verrückt.“

„Ich weiß, Mom. Ich weiß …“, wisperte Dave und hielt seine Mutter noch immer fest. „Warum machst du nicht eine kleine Pause? Wie wäre es mit ein bisschen frischer Luft?“

„Nein … nein, ich kann nicht. Sie brauchen mich. Ich kann die beiden nicht alleine lassen.“

Ehe Dave nochmal etwas erwidern konnte, vor allem aber eine Möglichkeit gefunden hatte, sie doch noch irgendwie von einem der Bildschirme wegzulocken, war Carol wieder zurückgekehrt. Schnell hatte sie einmal mehr durchgeatmet, sich die Tränen von den Wangen gewischt und setzte sich wieder zwischen John und ihren Mann.

Es graute Dave vor der Reaktion seiner Mutter, wenn sie erst das zu sehen bekäme, was er und sein Vater vor einigen Tagen durch Doktor Beckett erfahren und zu sehen bekommen hatten. Es machte ihr jetzt schon enorm zu schaffen. Zu sehen, wie John von einem Wraith ausgesaugt wurde, würde ihr den Rest geben.

Seine Mutter war in vielen Dingen hart im Nehmen und sie hatte auch schon vieles gesehen und gehört durch ihre Tätigkeit als Psychologin, aber das war etwas ganz anderes. Mit nichts zu vergleichen. Und dann auch noch ihr eigener Sohn, sein Bruder …

Auch ihm stellten sich noch immer die Nackenhaare auf, wenn er nur schon ansatzweise daran dachte. Das Bild gänzlich vor seinem inneren Auge wieder zu sehen, raubte ihm den Atem, schnürte seine Kehle zu und ließ seinen Magen rebellieren. Und der Gedanke, wie sich das Aussaugen durch einen Wraith anfühlen würde, ließ ihn schwindlig werden. Dave verfluchte sich innerlich für seine Sensibilität.

John hatte ihn früher immer aufgezogen, dass er bei verschiedenen Situationen immer so empfindlich reagierte, manchmal nannte John ihn in einer Streiterei auch schon mal eine Heulsuse. Doch das waren Kinderstreitigkeiten. Inzwischen war viel Wasser den Bach hinab gelaufen. Die beiden wurden erwachsen und Dave hatte gelernt, sich mit seinen Emotionen auseinanderzusetzen.

Er tat es seinem Vater gleich. In der Öffentlichkeit ließ er sich nichts anmerken, doch in einsamen Minuten und Stunden …

John hingegen kapselte sich gänzlich ab. Er zog eine undurchdringliche, unüberwindbare Wand auf und schien der perfekte Schauspieler zu sein.

Das würde für seine Mutter eine Menge Arbeit bedeuten. Sein Vater hatte schon einen Kampf ausfechten müssen, um in Johns Verstand zu gelangen. Was wohl geschehen würde, wenn er erst wieder erwacht wäre?

„Wie sieht es aus? Tut sich irgendetwas? Hilft es ihm?“, fragte Dave und versuchte aus dem Wirrwarr an Daten, die er auf einem der Monitore lesen konnte, schlau zu werden.

„Es wäre zu früh, zu behaupten, dass diese Maßnahme anschlägt. Aber das Wachstum des Erregers scheint zumindest zum Stillstand gekommen zu sein“, erklärte Jennifer und sah nun selbst skeptisch zu den Daten. „Wir sollten auf jeden Fall weitermachen. Vielleicht sollten wir auch versuchen, die Erinnerungen noch mehr zu intensivieren. Wenn jetzt schon ein Stillstand zu erkennen ist, könnte das möglicherweise für einen Rückgang sorgen.“

„Ja, es wäre auf jeden Fall einen Versuch wert“, stimmte Elisha zu und sah kurz zu Carol. „Sprechen Sie weiter zu Ihrem Mann, ich werde in der Zwischenzeit die Stimulierung des Cortex verstärken.“

Alexa wartete ab, ließ ihre Mutter die Geräte bedienen, Johns Mutter zu ihrem Mann und ihren Sohn sprechen und erlaubte es sich nach einer kleine Weile, ihre mentalen Schilde etwas zu senken. Es stellte sich jedoch schnell als ein Fehler heraus, denn John und sein Vater befanden sich in weiteren Erinnerungen, die extrem heftige Emotionen hervorriefen.

Ein Stöhnen entwich ihr und ließ sie sich krümmen, was natürlich Elisha und Carol sofort bemerkten. Auch Dorian war sofort an ihrer Seite.

„Al?“

„Es funktioniert. Er spürt so viel Wut und … und Trauer.“

„Das reicht, Alexa. Du musst nicht pausenlos in ihm lesen. Mir reicht es schon zu wissen, dass es funktioniert“, erklärte Elisha und ließ ihren prüfenden Blick über ihre Tochter gleiten.

„Ihre Mutter hat Recht. Sie haben uns schon sehr geholfen. Sie können sich ruhig wieder zurückziehen und Ihre Schilde wieder errichten“, schloss sich Carol an, worauf Alexa kaum merklich nickte.

Doch es war in Anbetracht der Stärke von Johns Gefühlen gar nicht so einfach. Zudem kam noch hinzu, dass auch die anderen des Teams bei gelegentlichen Blicken auf die Monitore ebenfalls in Gedanken verfielen und sich erinnerten. Auch sie hatten zumindest teilweise ähnliche Gefühle.

Alexa wusste, dass es für sie besser wäre, wieder größtmöglichen Abstand zwischen sich und den vielen Emotionen zu bringen. Doch sie wollte nicht weg. Sie wollte an Johns Seite bleiben. Man wusste noch immer nicht sicher, ob John die Anwesenden hören oder überhaupt irgendwie wahrnehmen konnte.

Alexa hingegen war sich sicher, dass er sie spüren konnte. Vielleicht sogar auf die gleiche Art und Weise, wie er es schon einmal konnte. Damals, als all die Emotionen jedes Einzelnen plötzlich auf sie zu stürmten und sie in diese vollkommen dunkle Leere trieben. Irgendwie konnte er sie spüren und sie so ausfindig machen. Von seiner Fähigkeit, sie aus diesem Nichts zu ziehen, einmal abgesehen.

Nein, sie wollte an seiner Seite sein und ihm beistehen, genau, wie er es damals tat.

Dass dies ihrem Vater ein regelrechter Dorn im Auge zu sein schien, stachelte sie nur weiter an. Natürlich nahm sie seine Sorge ihr gegenüber wahr, aber da war auch Verwirrtheit, Unglaube und Ratlosigkeit. Dieselben Empfindungen, die Alexa wegen des Verhaltens ihres Vaters empfand.

Da war aber noch mehr. Ihr Vater schien Geheimnisse zu haben. Das war in der Vergangenheit noch niemals der Fall. Warum jetzt? Warum schien er den Menschen der Erde gegenüber so übervorsichtig? Warum zeigte er so wenig Vertrauen? Warum war es geradezu Misstrauen, dass er besonders John Sheppard gegenüber empfand?

Schnell riss sich Alexa wieder zusammen und konzentrierte sich wieder auf John. Sich mit solchen Gedanken zu beschäftigen, würde unweigerlich dazu führen, dass sie wieder in ihrem Vater las, was dieser natürlich sofort bemerken würde.

Zugegeben, die Versuchung war enorm. So würde sie zumindest ein kleines Stück näher an das Geheimnis und das Wissen ihres Vaters kommen. Aber wie würde er dann wohl reagieren?

Nein, so gerne sie es tun würde, so wichtig und vermutlich auch dringend es wäre, es musste warten.

Alexa las weiter in John und hoffte weiterhin, dass er sie wahrnahm. Abgesehen davon war es eine gute Übung. So würde sie die verschiedensten fremden Emotionen lesen und erfahren und gleichzeitig zu unterscheiden lernen, während sie auch weiterhin mit ihren Schilden arbeiten konnte.

Tristanius hingegen stand noch immer im Beobachtungsraum und verfolgte neugierig und gespannt die Exkursionen von Vater und Sohn in die Vergangenheit. Richard hatte es sich dabei unweigerlich zur Aufgaben gemacht, dem General die verschiedensten auftauchenden Personen, Orte und Ereignisse vorzustellen oder zu erklären. Anfangs fragte der General noch nach, doch nach einer Weile sprudelten die Worte aus dem Expeditionsleiter und Tristanius hatte teilweise schon Mühe, einiges auseinanderzuhalten und einer gewissen Zeitlinie zu folgen.

Von den verschiedensten Begegnungen mit den Wraith, vor allem deren Königinnen, die Tristanius mittlerweile ebenso wenig ausstehen konnte, wie John selbst, bis hin zu den verschiedenen riskanten Flugmanövern und Weltraumschlachten mit Raumschiffen, Jumpern, Kampfjets und diesen F 302ern, verfolgte der ältere Antiker mal gespannt, mal gedankenverloren, aber auch gelegentlich mit dem Anschein von Missbilligung, die Erinnerungen des Colonels.

Doch wenn Richard ihn für wenige Momente beobachtete, so schien der Mann immer öfter und vor allem tief in Gedanken versunken zu sein. Dennoch entging ihm nichts.

Er beobachtete überaus genau Johns Erinnerungen an Doktor Weir, die gegenseitige Jagd durch die Stadt, als sie unter Einfluss zweier verfeindeter Soldaten standen, als auch die mehrmalige Begegnung mit den Replikatoren.

Doch seine Stimmung wurde für Richard erst richtig unergründlich, als er sah, wie Tristanius Johns Erinnerung an den Angriff der Replikatoren, den Diebstahl eines Energiemoduls vom Replikatoren-Heimatplaneten und das Einschleichen zum Kern, um den Angriffsbefehl zu aktivieren, beobachtete.

Seine Sorge und seine Gedanken richteten sich jedoch schnell wieder auf seine Tochter die mit ihren Schilden wieder ins Straucheln kam, als Sheppard sich an Doktor Weir und ihren Befehl, sie zurückzulassen und selbst zu verschwinden, erinnerte.

Es war zweifellos eine sehr intensive Erinnerung, die auch des Colonels Mutter erneut berührte.

Mit einem entsprechenden Gesichtsausdruck und einer Kopfbewegung wies Tristanius seinen Sohn, der gerade nach oben zu ihm blickte, an, seine Schwester aus dem Intensivraum zu bringen. Doch Alexa weigerte sich, der Bitte ihres Bruders nachzukommen.

Resigniert verließ Dorian den Raum und betrat wenige Augenblicke später den Beobachtungsraum.

„Sie weigert sich, zu gehen. Ich habe schon daran gedacht, sie mit Gewalt daraus zu bringen, aber … ich glaube, ich hätte wenig Erfolg damit.“

Tristanius brummte nur vor sich hin. Er wusste, wie stur seine Tochter sein konnte. Natürlich könnte er es ihr befehlen, doch was würde es bringen? Die Menschen würden seine Beweggründe vielleicht nicht verstehen und nachvollziehen können und Alexa würde noch mehr Verdacht schöpfen, dass etwas nicht stimmte.

Es war eine mehr als absurde Situation. Er hielt etwas vor seiner eigenen Tochter zurück. Er wusste das Alexa dies spüren konnte. Und auch, dass Alexa wusste, dass er sich darüber bewusst war und doch…

Wie lange konnte es noch so weiter gehen? Wie lange musste es so weiter gehen?

Es musste etwas unternommen werden. Die Gefahr durch Kieran war noch immer vorhanden und sie wurde nicht gerade kleiner. Im Gegenteil. Mit jedem Tag, der verging, konnte Kieran immer mächtiger werden und sein Wissen vergrößern. Tristanius war sich noch relativ sicher, dass Kieran den Ort allen Anfanges noch nicht gefunden haben konnte, dennoch musste bald etwas unternommen werden. Wenn er sich doch nur sicher sein könnte, dass Sheppard …

Er musste weiter beobachten, auch wenn er wusste, dass Beobachtungen alleine die Theorien, Vermutungen und auch die Hoffnungen, die vor allem seine Frau und Dorian hegten, nicht ausreichen würden. Aber eine simple Blutuntersuchung würde ausreichen, um zu erfahren, ob John Sheppard wirklich einer von ihnen sei. Abgesehen von seinem Antikergen … Elisha könnte später eine Untersuchung vornehmen.

„Ein Penny für Ihre Gedanken“, sagte Richard im Versuch, den General in ein weiteres lockeres Gespräch zu verwickeln.

„Entschuldigung?“

„Das ist eine alte Erdenfloskel, die … sie hat mehrere Zwecke. Meist ist es nur ein Versuch, jemanden durch die Frage nach den Gedanken in ein Gespräch zu verwickeln.“

„Ah … verstehe. Verzeihen Sie, Mister Woolsey. Meine Gedanken drehen sich um sehr komplexe Fragen und Themen. Sie sind viel zu unstet, um auch nur einen davon richtig aufgreifen oder gar beschreiben zu können.“

„Ich kann mir vorstellen, dass unter all diesen Gedanken bestimmt auch einer an Ihre Vergangenheit und der Versuch wieder in Ihr gewohntes Leben zurückzukehren, dabei ist“, erwiderte Richard lächelnd.

Es war erneut ein zaghafter Versuch, etwas mehr aus dem Mann heraus zu bekommen. Tatsächlich erhielt der Diplomat eine Antwort, wenn auch eine kurze und nicht gerade sehr vielsagende.

„Es sind eigentlich Gedanken an die Zukunft, die mich beschäftigen. Wie ich schon sagte, sehr komplex und … sie werfen eine Menge Fragen auf.“

„Nun … wenn wir Ihnen bei der Beantwortung der einen oder anderen Frage vielleicht helfen können, dann lassen Sie es uns wissen. Ich bin sicher, dass wir da irgendwie …“

„Vielen Dank, Mister Woolsey. Ich bin sicher, dass ich … früher oder später darauf zurückkommen werde.“

Auch wenn diese Antwort nicht wirklich eine brauchbare Information bot, so reichte es Richard aus, um sich sicher darüber zu sein, dass den General und seine Familie schwerwiegende Probleme und Sorgen quälten. Natürlich konnte er sich denken, dass es etwas mit dem mysteriösen Fremden zu tun haben musste, der ein gesteigertes Interesse am Commander hatte. Aber er wertete dieses kurze Gespräch als ein leichtes Entgegenkommen und den Beginn eines Vertrauensverhältnisses. Zu gerne würde Richard einen Schritt weiter gehen und konkrete Fragen stellen, doch es würde die momentane und mehr als wackelige Basis zerstören. Der General war nun am Zug. Richard hoffte und betete innerlich, dass dieser den nächsten Schritt unternahm und er wurde nicht enttäuscht, als der General sich wieder an ihn wandte.

„Colonel Sheppard scheint mir ein Soldat zu sein, der lieber mit etwas … wie soll ich sagen … unorthodoxen Mitteln agiert. Regeln und Gesetze scheinen ihm auch fremd zu sein.“

„Ich kann gut verstehen, dass Sie diesen Eindruck gewinnen. In der Tat hat der Colonel bestimmte Eigenarten an sich und anfangs war ich nicht sehr begeistert von seinen Ideen, Plänen und seine Handlungen waren auch nicht immer im Einvernehmen mit dem Komitee. Doch ich selbst habe bereits in den ersten Tagen während meiner Tätigkeit als Expeditionsleiter lernen müssen, dass die Regeln und Vorschriften eines Komitees, das im Grunde immer nur hinter einem Schreibtisch in irgendeinem kleinen Büro sitzt, in einer fremden Galaxie nicht greifen und durchzuführen sind. Ich selbst musste einige umgehen, biegen und sogar brechen und den Colonel gewähren lassen. Hätte ich es nicht getan, wären viele Menschen heute nicht am Leben. Darunter auch Doktor Keller“, erklärte Richard und deutete wieder auf den Bildschirm.

Auf diesem konnte man verfolgen, wie Jennifer Keller mit einem Pathogen aus Michaels Experimenten infiziert wurde und sich in ein Wraithschiff zu verwandeln drohte.

Tristanius wurde abermals Zeuge von Johns Art, den Problemen entgegen zu treten. Er sah, welchen Mut er bewies, das Gegenmittel zu testen und wie er daraufhin dem Ganzen ein Ende bereitete und sich in die Nähe der jungen Ärztin, die nicht mehr sie selbst war, wagte.

Tristanius gestand sich schließlich ein, dass er von der einen oder anderen Fähigkeit, dem Mut, der Intelligenz und auch der Stärke des Colonels beeindruckt war.

Der General versuchte sich nichts anmerken zu lassen, jedoch verspürte er im selben Augenblick eine zaghafte Berührung, die nicht körperlich war. Seine Tochter hatte wieder in ihm gelesen. So schnell, wie er sie bemerkte, so schnell ließ sie auch wieder los. Alexa wich wieder seinem Blick aus.

~~~///~~~

 „Das ist … ich weiß nicht genau, wie aber es funktioniert! Das Wachstum des Erregers geht immer weiter zurück. Nicht mehr lange und wir haben ihn besiegt“, gab Jennifer enthusiastisch zurück.

„Der Zustand des Colonels verschlechtert sich dennoch immer mehr. Aber wir müssen auf jeden Fall weiter machen. Wir müssen …“

„Schneller sein als er“, fügte Jennifer auf Elishas Aussage hinzu.

„Ja, wir brauchen noch einige Erinnerungen.“

Carol war arg mitgenommen. Die Erinnerungen ihres Sohnes trafen sie mehr als sie vermutet hatte. Als sie erfahren hatte, dass John Soldat geworden war, hatte sie sich oftmals mit Gedanken an seine Erfahrungen und Erlebnisse beschäftigt. Dabei war sie hart zu sich selbst und vor allem ehrlich. Verschiedene Szenarien gingen ihr durch den Kopf und sie schonte sich nicht, in dem sie ihre Fantasie nur kleinere und harmlose Einsätze durchspielen ließ.

Nein. Sie hatte immer wieder Bilder von Abstürzen, Schießereien und Gemetzel im Kopf. Solche Bilder zu fabrizieren, war nicht schwer für sie. Immerhin hatte sie früher einige ehemalige Soldaten unter ihren Patienten. Viele davon litten an posttraumatischem Stresssymptomen. Entweder, weil ihnen die Bilder ihrer Einsätze in Krisen- und Kriegsgebieten nicht mehr aus dem Kopf gingen oder weil sie selbst Kriegsgefangene waren und teils schwer misshandelt und gefoltert wurden.

Sie kannte das Leben, das Empfinden, das Funktionieren und auch das Denken der Soldaten. John sollte da nicht anders sein. Dennoch …

Ihr eigener Sohn war in einer anderen Galaxie, kämpfte gegen lebensaussaugende Aliens, flog Raumschiffe, die man sich noch nicht einmal in modernen Science-Fiction Filmen vorstellen konnte, wurde mit Viren, Erregern und anderem infiziert, er wurde so oft verletzt, gefangen genommen, geschlagen und …

Carol konnte langsam nicht mehr. Ja, sie hatte sich schon das Schlimmste vom Schlimmsten vorgestellt, aber das? All das?

Johns Erinnerungen waren zwar eine Möglichkeit, ihren Sohn auf eine neue, ganz andere Art und Weise kennenzulernen, aber es war auch eine Lektion der Geschichte zweier Galaxien. Sie erfuhr von den Problemen und der Geisel der Pegasus-Galaxie, den Wraith, den Replikatoren, den Genii und andere Völker, die entweder freundlich oder feindlich gesinnt waren.

Aber auch in das Leben ihrer heimischen Galaxie, der Milchstraße, hatte sie einen Einblick gewonnen. Erstmals hörte sie von Wesen mit dem Namen Goa´uld, Organisationen wie dem Trust, NID, auch die Ori fanden Erwähnung. Area 51 und so viele andere Dinge.

Erinnerungen an Streitereien zwischen John und ihrem Mann ließen sie verzweifelt den Kopf schütteln, während Bilder aus Krisen- und Kriegsgebieten, Feuergefechten, Luftkämpfe und sogar die Terroranschläge des 11. September blankes Entsetzen hervorriefen.

Es war so viel, das sie in den letzten zwanzig Jahren verpasst hatte. Es war so viel, das John gesehen und erlebt hatte und vor allem durchstehen musste. Es war zu viel.

„Das Wachstum liegt bei knapp einem Prozent. Wieso geht es nicht weiter? Nur noch ein paar Erinnerungen und er hat es geschafft“

Carol entgingen die Worte der jungen Ärztin nicht. Schnell wischte sie sich ihre Tränen aus dem Gesicht und wandte sich wieder ihrem Mann zu. Eindringlich sprach sie zu ihm, bat ihn, John weiterhin zu animieren, sich zu erinnern.

~~~///~~~

-Patrick war in Schweigen verfallen, als er mit John wieder bei den Fragmenten ankam. Eigentlich war nur noch ein einziges Fragment übrig und Patrick wusste, was sich abspielen würde, wenn einer von ihnen es berührte. Doch er sah, wie John haderte.

Der Vater konnte es einerseits gut verstehen. Es war eine der schlimmsten Erinnerungen und John wollte einfach nicht, dass sein Vater auch das noch zu sehen bekäme. Vermutlich glaubte John, dass er ihn danach zurechtweisen würde, weil wieder einmal etwas geschah, was vorauszusehen oder besser gesagt, vermeidbar gewesen wäre. Aber andererseits hatte Patrick schon so vieles gesehen. Auch da hatte John bei der einen oder anderen Erinnerung mit sich gehadert und wollte nicht so recht mitmachen. Es hatte Patrick eine immense Geduld und noch mehr Nerven gekostet, auf ihn einzugehen und ihm gut zu zureden.

Doch dieses Mal würde es schwerer sein. John wusste nicht, dass sein Vater bereits wusste, welche Erinnerung sich auf dem Fragment befand. Es ihm zu sagen, erschien ihm als keine gute Idee. Dann würde er erst recht nicht mehr mitarbeiten.

Allerdings würde John es zwangsläufig erfahren, denn Patrick fiel absolut keine Möglichkeit mehr ein, ihn ohne einen Hinweis auf sein Wissen dazu zu bewegen, das Fragment zu berühren.

Natürlich könnte Patrick das übernehmen. Doch er war mit John schon so weit gekommen und ein Griff zum Fragment würde bedeuten, John einfach zu übergehen und wieder einmal über seinen Kopf hinweg zu entscheiden.

Patrick hatte schon vor langer Zeit begriffen, dass er viele Male einfach zu weit gegangen war, wenn es darum ging, das Beste für John zu wollen. Es war zwar sein Recht und seine Pflicht als Vater, ja. Aber es war noch mehr seine Pflicht, seine Söhne in ihren Entwicklungen, ihrem Streben, ihren Wünschen und ihren Bedürfnissen zu unterstützen, zu ermutigen und vor allem zu respektieren und akzeptieren. Patrick wollte nicht, dass diese Erkenntnis nun zu spät kam. Das war schon einmal der Fall. Ein zweites mal wollte er es nicht zulassen.

 „John … es ist noch eine Erinnerung übrig.“

John antwortete nicht. Er starrte stattdessen stur auf das Fragment, wobei Patrick sah, wie es in ihm arbeitete. Seine Kiefer mahlten und obwohl John seine Hände in den Hosentaschen stecken hatte, konnte er seine geballten Fäuste erkennen.

„John, das Wachstum des Erregers liegt nur noch bei einem Prozent. Wir haben es fast geschafft. Wir … wir müssen weitermachen.“

Noch immer reagierte John nicht wie erhofft. Leise seufzend schloss er die Augen und drehte sich weg.

„Junge, verdammt nochmal, jetzt stell dich nicht so an. Dieser Organismus ist so gut wie vernichtet. Nur ein Schritt, John … Ich bin nicht zurückgekommen, um dich sterben zu sehen.“

„Das hast du schon mal gesagt.“

„Ich habe vieles schon mal gesagt. Nur das, was ich eigentlich sagen wollte … was ich sagen sollte … habe ich noch nicht sagen können. Und wenn du jetzt nicht … wenn Du jetzt aufgibst, dann … auch das habe ich schon mal gesagt, aber wenn du jetzt aufgibst, dann gewinnt er“, erklärte Patrick leicht aufgebracht und deutete zum Fragment.

„Willst du das? Willst du, dass ausgerechnet er gewinnt, weil du plötzlich nicht mehr wolltest, dass ich auch den Rest sehe? Du hast mir so viel gezeigt und wir sind schon so weit gekommen. Ich weiß, dass es schwer für dich war. Ich weiß, dass du einiges durchgemacht hast und das da ist mit Sicherheit auch nichts Angenehmes gewesen, aber …“

Patrick war am Ende seiner Weisheit und auch Johns Reaktion zeigte ihm, dass er sich gerade verraten hatte. Aber was musste denn noch geschehen?

„Woher weißt du es?“, fragte John, wobei sich seine Augen schon ein wenig verdunkelten, als er fassungslos zu seinem Vater sah.

„Das spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass ich auf keinen Fall zulassen werde, dass er über dich triumphiert. Weißt du John, im Grunde könnte ganz einfach selbst den Splitter berühren und uns beide dorthin befördern. Ich weiß, du wolltest, dass ich niemals etwas von all dem hier erfahren sollte. Ich sollte niemals sehen, wie … ich verstehe es. Ich kann es sogar gut verstehen, und wenn ich nur den Hauch einer Ahnung gehabt hätte, was in den letzten Jahrzehnten alles geschehen ist, was du alles gesehen und durchgemacht … dann … dann hätte ich dich niemals so mit den verdammten Missionsberichten genervt. Wir beide wissen, dass unsere … unsere Beziehung zueinander schon immer … schwierig war. Mir ist klar geworden, dass es größtenteils an mir lag. Ich war so darauf aus gewesen, dich zu etwas zu machen, dass meinen Vorstellungen entspricht, dass … Ich habe dich damit …“

Patrick schluckte. Wieder bildete sich ein schmerzhafter Knoten in seinem Inneren, der ihn glauben ließ, einen weiteren Herzinfarkt zu erleiden. Er wusste, dass dies nicht wirklich der Fall war und er wusste auch, dass es an der Zeit war, diesen Knoten endgültig zum platzen zu bringen. „Ich habe dich damit verletzt und ich habe dich … du musst dich verstoßen gefühlt haben. Ja … ich habe dich damit vertrieben und wir haben uns so weit voneinander entfernt und entfremdet, dass … Ich habe dir wohl das Gefühl gegeben, kein guter Sohn zu sein und du hast wohl gedacht, dass ich kein guter Vater bin … ich wollte dich an mich binden, aber stattdessen habe ich dich verjagt. Das habe ich nicht gewollt, John. Ich wollte aus dir immer einen Mann machen, der … das war mir spätestens bei meinem Herzinfarkt, bei meinem Abgang bewusst geworden, und als ich die zweite Chance bekommen hatte, dir das zu sagen, da … da war ich so erpicht darauf zu erfahren, wer du nun wirklich bist, dass ich wieder mal übers Ziel hinaus geschossen bin.“

Patrick atmete einmal mehr tief durch und spürte nun, wie der Knoten zwar nicht platzte, sich dafür aber langsam zu lösen begann. Er wagte es, seinem Sohn direkt in die Augen zu sehen und erkannte, dass auch in ihm etwas vorging, was ihn bis ins Mark traf.

Er sah Schmerz in seinen Augen sowie Bedauern, Trauer auch Wut und Verärgerung mischte sich darunter. Eine ganze Flut der unterschiedlichsten Gefühle spiegelte sich in seinen Augen, seinem Gesicht und auch in seiner Haltung wider und doch war Patrick sich sicher, dass John ebenso wie er auch eine gewisse Erleichterung und Befreiung verspüren musste.

„Ich habe dich einmal verloren, John. Ich habe dich verloren, weil ich dich mit meinem Verhalten verletzt und vertrieben habe. Deine Mutter und ich … deine Mutter, dein Bruder, du und ich, wir haben eine zweite Chance bekommen und ich will sie nutzen, John. Auch das habe ich schon mal gesagt. Du hast mir in all den Erinnerungen gezeigt, dass du der Mann geworden bist, der Sohn, den ich mir … den man sich als Vater nur wünschen kann. Ich will dich nicht nochmal verlieren. Weder durch einen Wraith, noch durch einen verrückten … Kolya, oder diesen verdammten Erreger. Ich bitte dich, John … nur ein Schritt und … lass uns endlich diese zweite Chance nutzen. Lass uns Vater und Sohn sein, wie es sich gehört. Lass die Erinnerung an Kolya nicht gewinnen, lass diesen Erreger nicht gewinnen.“

Patrick steckte seine Hand aus, in der Hoffnung, dass John sie ergreifen und mit ihm gemeinsam eine letzte Reise in die Vergangenheit unternehmen würde. Doch John war unsicher …-

~~~///~~~

Gebannt sahen Carol und Alexa auf den Bildschirm. Nur ein winziges Prozent war John von der Heilung entfernt und doch …

„Wir verlieren ihn“, wisperte Elisha, als sie zwischen John und seinen Werten auf den Monitoren hin und her sah.

Sein Blutdruck war rapide gefallen, doch sein Puls raste unregelmäßig. Seine Hirnströme waren nur noch schwer zu messen und hinterließen das Muster einer Berg- und Talbahn. Jennifer und Elisha taten alles, um seinen Kreislauf zu stabilisieren und ihn nicht zu verlieren. Sie verabreichten Medikamente, erhöhten die Sauerstoffzufuhr und die Stimulierung seines Cortex und doch schien es beinahe aussichtslos …

Alexa spürte sowohl Patricks Emotionen, als auch die von John und aller Anwesenden. Es brachte sie derart ins straucheln, dass sie sich kaum noch halten konnte. Sie spürte den Aussetzer nahen, sie spürte, wie die vollkommende Leere immer näher kam.

Dorian sprach zu ihr, griff nach ihr und rüttelte sie sogar sachte, aber es kam keine Reaktion von ihr.

Die Leere war so nah … sie lähmte sie fast, verschleierte ihre Sicht und ließ Worte und Geräusche in weite Ferne rücken. Ein letzter Blick zu John, ein letzter verzweifelter Griff nach seiner Hand …

~~~///~~~

-„John, ich flehe dich an … “, wisperte Patrick und hielt noch immer die Hand nach seinem Sohn ausgestreckt.

Doch John schien auf einmal verwirrt, als er auf einmal zu seiner rechten Hand sah.

„Alexa …“

„Ein Schritt, John. Nur ein Schritt!“

John sah noch einmal zu seiner Hand, auf der er die Hand der jungen Antikerin zu spüren glaubte. Doch es war mehr als das. Er spürte, wie sie Verbindung zu ihm aufnahm. Er spürte, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Besorgt sah er zu seinem Vater.

„Wenn du stirbst, kannst du ihr nicht helfen. Komm mit.“

John überlegte nicht lange und gab nach. Er griff nach der ausgestreckten Hand seines Vaters und berührte mit der anderen das letzte Fragment …

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„Misses Sheppard, ich denke, eine kleine Pause könnte Ihnen ganz gut tun. Sie könnten etwas frische Luft schnappen und sich ein wenig ausruhen“, meinte Richard, der befand, dass die Mutter bereits genug gesehen hatte. Das, was nun folgen würde, wäre womöglich zu viel für sie.

„Er hat Recht, Mom. Du solltest dich wirklich etwas ausruhen. Du warst die ganze Nacht auf den Beinen. John … schafft das schon …“

Dave versuchte alles, um seine Mutter irgendwie von den Bildschirmen zu locken. Er wusste ganz genau, was nun kommen würde, welche Erinnerung zu sehen sein würde.

Aber Carol dachte nicht daran, zu gehen.

„Warum wollt ihr unbedingt, dass ich gehe?“, fragte Carol, doch zur gleichen Zeit fiel ihr ein merkwürdiger Gesichtsausdruck bei ihrem jüngsten Sohn auf und auch der Expeditionsleiter wich ihrem Blick aus.

„Dave …? Du weißt, was jetzt kommt? Wie … was geschieht jetzt? Woher weißt du …“

„Das spielt keine Rolle, Mom. Bitte … du solltest das nicht sehen. Du hast schon viel gesehen. Zu viel. Das … „

„Ich werde nicht gehen“, entgegnete Carol entschieden. „Johns Zustand ist immer noch kritisch. Er kämpft mit letzter Kraft ums überleben. Welche Mutter wäre ich, wenn ich ihn jetzt alleine ließe? … Außerdem …Ich war die ganze Nacht hier, Dave. Ich weiß nun, was sich in den letzten zwanzig Jahren in seinem und teilweise eurem Leben abgespielt hat. Die letzte Erinnerung kann kaum schlimmer sein, als alle anderen zuvor.“

Doch Carol ahnte schon, dass sie sich irren würde, kaum dass sie Kolyas Visage auf den Bildschirmen wieder erkannte. Sie sah das höhnische Grinsen des Mannes, hörte seine schmierigen Floskeln und Drohungen, von denen Carol mittlerweile wusste, dass er sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne irgendeinen Skrupel wahr machen würde.

Als sie ihn das erste Mal sah und mit verfolgte, was er der jungen Antikerin antat, als er diese gefangen hielt, stufte sie ihn als einen Soziopathen der schlimmsten Sorte ein. Aber was sie nun zu sehen bekäme, sollte alles in den Schatten stellen.

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–„Welche Bedingungen haben Sie, Kolya?“, hatte Elizabeth verlangt zu wissen.

„Ich hörte zwei Stimmen, die mir vertraut sind. Ihre und Dr. McKay´s. Aber eine Person, von der ich weiß, dass sie da ist, muss noch sprechen. Ladon Radim ist bei ihnen, nicht wahr?“

„Wieso sollte Ladon bei uns sein?“

„Um sein kostbares Bündnis mit Ihnen zu wahren, Doktor. Hauptsache die Genii bleiben in der Gunst von Atlantis. Meine Quellen haben das bestätigt, also ist es zwecklos, zu leugnen. Übergeben Sie ihn mir und Colonel Sheppard wird sofort freigelassen.“

„Ich werde eine Zeit lang über Ihrem Vorschlag nachdenken müssen.“

„Erlauben Sie mir, Ihre Entscheidung zu beschleunigen“, hatte Kolya geantwortet und drehte sich zur Tür um, die gerade geöffnet wurde, um einen an Händen gefesselten und mit Fußketten versehenen Wraith hineinzuführen zu lassen.

„Oh mein Gott!“–

-Patrick sah, wie sich die Atmung seines am Stuhl gefesselt und geknebelten Sohnes beschleunigte. Nervosität stieg in ihm auf und man konnte ihm ganz deutlich die Erkenntnis, was Kolya nun vorzuhaben schien, ansehen.

Sein Blick huschte hinüber zu John im Hier und Jetzt. Regungslos schien er in die Leere zu starren und doch war so viel in seinem Blick und in seiner Haltung zu sehen.

Seine Kiefer mahlten, sein Blick war starr und eisig, seine Fäuste waren dermaßen geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten.

In diesem Moment war sich der Vater nicht so sicher, ob John noch daran dachte, dass dies alles vergangen war, oder ob er diesem Kolya oder gar dem Wraith an den Hals springen wollte.

„John… John“, sprach Patrick leise und legte seine Hand auf Johns Schulter. Sanft rüttelte er an ihm und hoffte ihn irgendwie in die Gegenwart holen zu können.

„Letzte Chance, Dad … du kannst noch gehen“, meinte John und sah seinem Vater dabei starr in die Augen.

„Ich werde nirgendwohin gehen. Wir sind schon so weit gekommen. Das hier werden wir auch noch schaffen.“-

–„Sheppard hätte Sie in Ihrem Loch verrotten lassen können. Das hat er nicht verdient!“, ertönte die Stimme des kanadischen Wissenschaftlers.

„Sagen wir es deutlich, Dr. McKay. Das hat keiner verdient“, hatte Kolya tonlos zurückgegeben.–

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„Nein … Nein … das… sagen Sie, dass das nicht wahr ist. Sagen Sie mir, dass das nicht passiert ist …“, wisperte Carol und sah mit flehenden Augen zu Woolsey, der nicht so recht wusste, was er antworten sollte.

Misses Sheppard, bitte … Sie sollten das nicht sehen.“

Doch Carol konnte nicht anders. Sie musste zu den Bildschirmen sehen und gerade in dem Moment, in dem sie sich ihnen wieder zuwandte, schlug der Wraith seine Hand auf Johns Brust.

Fassungslosigkeit und blankes Entsetzen hatte sie ergriffen.

Immer wieder musste Carol schlucken und leise nach Luft ringen, da sie glaubte ihre Kehle würde sich zuschnüren. Zu sehen, wie sich ein Wraith an John nährte und er dadurch immer schwächer und auch älter wurde, vor allem aber welche Schmerzen es ihm bereitete, war kaum zu ertragen und tat ihr schon selbst im Herzen weh. Unaufhörlich bahnten sich einige Tränen ihren Weg über ihre Wange entlang, bis sie nicht mehr hinsehen konnte. Schluchzend drehte sie sich zu Dave, der wieder nichts anderes tun konnte, als sie aufzufangen, zu halten und zu trösten. Er wusste genau, wie sie empfand, denn ihm erging es nicht anders.

Carol wusste nicht so recht, wie sie es geschafft hatte, sich wieder zu fangen, aber nun verstand sie, warum über die Wraith nicht nur mit Respekt, sondern auch einer gewissen Angst in den Stimmen gesprochen wurden. Sie waren die zu fleischgewordenen Kreaturen, die Menschen der Erde bisher nur in ihren abgründigsten Gedanken erschaffen hatten.

Vor allem aber hatte sie nun eine Antwort auf die Frage, was zwischen John und Kolya vorgefallen war und warum er solche Wut und einen immensen Hass gegen Kolya empfand.

Carol wand sich wieder John zu und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

„Der Erreger …“, wisperte Jennifer und starrte ungläubig auf den Monitor, auf dem man den neuesten Scan begutachten konnte.

„Was ist mit ihm? Sagen Sie bitte nicht, dass das alles nichts half!“, stieß Carol unwillkürlich mit bebender Stimme hervor.

„Er ist weg!“

„Was?“

„Es ist kein Wachstum mehr zu sehen. Der Erreger ist verschwunden.“

Mit einem Ruck fuhr Patrick hoch und japste kurz nach Luft. Es brauchte jedoch nur wenige Augenblicke, bis sich seine Verwirrung legte.

„Rick!“

Carol war sofort an seiner Seite und ließ ihren prüfenden Blick über ihren Mann schweifen.

„Rick! … Rick? Was ist denn? Ist alles in Ordnung?“

Patrick blinzelte noch einige Male verwirrt, bevor er zu John sah.

„Ich weiß nicht … was ist mit ihm?“

Verwundert schüttelte Jennifer den Kopf als sie die Daten auf dem Monitor studierte.

„Der Erreger ist verschwunden. Seine Lebenszeichen … die Werte stabilisieren sich. Sie werden besser. Colonel? … Colonel, kommen Sie schon. Wachen Sie auf.“

Auch Carol versuchte wieder John zu erreichen, nachdem sie sich nochmals bei Patrick nach seinem Befinden erkundigte.

„John … John, kannst du mich hören?“

Johns Augenlider flatterten, bevor er sie langsam, eher träge öffnete. Seine Glieder fühlten sich schwer oder besser gesagt taub an. Er hatte keine Kraft sich zu rühren und sein Blick wäre mit Sicherheit verschwommen, wenn ihn das grelle Licht des Scanners nicht blenden würde. Geräusche und Stimmen drangen nur leise zu ihm durch und ließen ihn glauben, aus einiger Entfernung zu kommen.

„John?“, kam es wieder von Carol, doch kaum hatte sich Johns Verwirrtheit über den Anblick seiner Mutter gelegt, geriet er in Panik. Etwas hinderte ihn am Atmen und Schlucken.

„Ganz ruhig, Colonel … ganz ruhig. Wir mussten Sie über den Tubus künstlich beatmen. Wir werden ihn gleich entfernen, keine Panik“, versuchte Jennifer ihren Patienten zu beruhigen und machte sich daran, John von dem Tubus zu befreien.

John würgte und hustete, als Jennifer den Tubus aus seinem Hals zog und auch als die ersten tiefen Atemzüge seine ausgetrocknete Kehle reizten. Aber er beruhigte sich schnell und sank erschöpft tiefer in die Kissen. Sein Blick schweifte umher und kam wieder bei seiner Mutter zum ruhen.

„Mom?“

„Ja … ja, ich bin hier.“

„Was ist … was …“

„Der Erreger ist weg, John. Es ist alles in Ordnung. Du hast es geschafft. Es wird alles wieder gut… du hast es hinter dir … Es ist vorbei“, beruhigte Carol ihren Sohn und strich ihm über den Arm und die Stirn.

Es dauerte einige Momente bis Johns sich erinnerte, was geschehen war. Der Besuch auf M1-899, die Rosenhecke, das Streitgespräch mit seinem Vater … seinem Vater? Noch mal sah John verwirrt umher und entdeckte seinen Vater auf einer Liege neben seinem Bett, seine Mutter, die neben ihm stand und noch immer seine Hand hielt und auch seinen Bruder, der am Fußende des Bettes stand und ihn nervös musterte. Er erinnerte sich an die Geschehnisse der letzten Tage und vor allem …

„Alexa?“, fragte John mit krächzender Stimme.

„Ich bin hier“, antwortete diese und trat hinter Dave hervor.

John hatte nur einen kurzen Blick auf die Antikerin erhaschen können, einen noch kürzeren auf Ronon, der ihm beruhigend zunickte, bevor eine ungeheure Erschöpfung an ihm zehrte und um ihn herum alles schwarz wurde.

„Was …? John? … John! Doktor, was ist denn jetzt?“, entfuhr es Carol panisch, als John wieder das Bewusstsein verlor.

„Er ist völlig erschöpft und hat das Bewusstsein verloren. Diese Erreger haben in ihm gewütet wie die Berserker. Er wird viel Ruhe brauchen“, erklärte Jennifer, die die Pupillenreaktion und den Puls überprüfte.

„Aber er hat es geschafft, oder? Ich meine, er ist geheilt und es gibt keinen Mikroorganismus mehr in ihm?“, fragte Carol unsicher und sah immer wieder zwischen John der Ärztin und den Monitoren hin und her.

„Nun ja… als die entsprechende Behandlung, also die Stimulierung des Cortex begann und John sich dann auch die entsprechenden Dinge erinnerte, ging das Wachstum des Erregers zurück. Mittlerweile liegt er bei null und der neueste Scan zeigt auch keine Organismen mehr an. Wir werden ihn die nächsten Tage beobachten müssen, um zu sehen, ob das so bleibt, aber ich denke er hat es geschafft, ja. Die Wunde an seinem Bein ist zwar noch sehr entzündet, aber sobald die Entzündung abgeklungen ist, kann Misses Thalis bestimmt mit einem ihrer Geräte weiter helfen.“

„Und die Lähmung? Er hat doch gesagt, dass er kein Gefühl mehr in seinem Bein hätte“, kam es von Patrick.

„Da die Nerven nicht wirklich geschädigt, sondern durch den Befall eher lahmgelegt wurden, denke ich, dass sie sich wieder regenerieren dürften. Es wird vielleicht ein paar Tage dauern, aber bald wird er wieder Gefühl im Bein haben sich auch bewegen können. Das wird wieder. Ihn hält doch so schnell nichts auf“, erklärte Elisha lächelnd, während Patrick sich daran machte, nun endgültig die Liege verlassen zu wollen.

Doch kaum stand er mit beiden Beinen auf dem Boden, ging er in die Knie und konnte sich gerade noch so an der Liege auffangen.

„Patrick!“

„Alles in Ordnung! Alles Okay. Geht schon wieder. Mir ist nur kurz schwindlig geworden. Die paar Stunden in Johns … die schlagen wohl ganz schön zu“, brachte Sheppard Senior schmunzelnd hervor und setzte sich wieder auf die Liege.

„Die paar Stunden? Dad, du warst die ganze Nacht in Johns Unterbewusstsein. Es ist früher Morgen!“, erklärte Dave und sah auf die Uhr, „um genau zu sein, kurz vor fünf.“

„Die ganze Nacht?“

„Oh ja, äh … das Gerät bringt Ihr Zeitgefühl etwas durcheinander und bei längerem Gebrauch lässt es einen schwindlig und auch übel werden. Aber das vergeht wieder. Kein Grund zur Sorge. Vielleicht sollten Sie aber dennoch etwas liegen bleiben. Nur zur Sicherheit“, meinte Dorian und machte sich daran, Patrick von der Maschine zu befreien.

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Nach weiteren Fragen und Erklärungen, die der Familie Sheppard und dem Team und den Freunden des Colonels auf dem Herzen lagen, hatten sich Elisha und Dorian nach einiger Zeit abgesetzt und betraten nun gemeinsam wieder den Beobachtungsraum, in dem noch immer Tristanius stand.

Erschöpft sank Elisha auf einen Stuhl und schloss für einige Momente die Augen.

„Du siehst müde aus.“

„Ich bin seit Tagen auf den Beinen, das ist wohl kein Wunder.“

„Er hat es also geschafft“, entgegnete Tristanius.

„Ja, das hat er. Der Organismus ist verschwunden. Er ist noch sehr erschöpft und die Taubheit in seinem Bein wird auch noch ein oder zwei Tage anhalten aber … er wird wieder gesund. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass es dazu notwendig ist, ihm sein gesamtes vergangenes Leben vorzuführen und ihn … ach“, stöhnte Elisha und versuchte sich ihren Nacken etwas zu massieren.

Tristanius nickte verstehend. Auch ihn ließen die Bilder aus den Erinnerungen des Colonels nicht los und brachten ihn zum Nachdenken. Es war nicht abzustreiten, dass der Mann in den letzten Jahren Erfahrungen gesammelt und Erlebnisse durchstanden hatte, wie kaum ein anderer. Dabei hatte Tristanius immer wieder sehen können, mit welcher Leidenschaft er seiner Arbeit nachging. Besonders was das Fliegen betraf. Er folgte Zielen und Idealen, die auch ihm nicht fremd erschienen und seine Eigenschaften und Gaben machten ihn unter bestimmten Umständen zu einem begabten Kämpfer. Er zeigte oftmals bedingungslose Opferbereitschaft und auch einen enormen Beschützerinstinkt, den Tristanius am meisten zum Grübeln brachte.

Aber trotz allem schien er doch noch mit der einen oder anderen Schwäche der Menschen behaftet zu sein. Gut, sie hatten in den letzten dreizehntausend Jahren enorme Schritte, Errungenschaften und Fortschritte erlangen können, aber … mussten man sie nicht immer noch als Halbwilde ansehen?

Vielleicht nicht alle. Mister Woolsey beispielsweise schien ein äußerst kultivierter und eher ruhiger Mensch zu sein, der friedliebend, mit einem analytischen Denken und großen diplomatischen Geschick überraschte. Dieser Sheppard aber … ja, er war überaus intelligent, mutig, stark und im Grunde war er ihm auch nicht unsympathisch und doch war Tristanius sich über ihn überhaupt nicht im Klaren.

„Es war auf jeden Fall sehr … aufschlussreich …“, meinte Dorian und riss seinen Vater aus seinen Gedanken, als dieser ihn kurz darauf fragend musterte. „Das, was er in den letzten Jahren erlebt hat, war nicht gerade schön, aber es gab durchaus Situationen, in denen ich manchmal das Gefühl hatte, dass er mehr einem aus unserem Volk gleicht, als dass er ein einfacher Mensch von der Erde ist.“

„Er hat das Gen unseres Volkes, Dorian. Vielleicht erklärt das sein Denken, Handeln und Empfinden in den entsprechenden Momenten“, schloss sich Elisha an.

„Ja, ich weiß. Aber ich glaube, da ist noch mehr. Viel mehr.“

„Du denkst … du denkt er könnte das Merkmal in seinem Gen haben?“, fragte Elisha nachdenklich.

„Ist doch möglich.“

„Er ist nicht von unserem Volk“, entgegnete Tristanius entschieden, „Er hat allenfalls das einfache Gen. Mehr nicht. Einer seiner Vorfahren muss es gehabt haben, sodass es nun auch in seinem Blut zu finden ist, aber ich bezweifle, dass da mehr dahinter steckt, oder dass es gar stärker ausgeprägt ist.“

„Das ist es aber. Das Antikergen, wie die Menschen es nennen, ist gerade bei Colonel Sheppard am stärksten ausgeprägt. Er ist sogar der stärkste Genträger der gesamten Expedition.“

„Das muss nichts bedeuten“, warf Tristanius abermals ein und war so gar nicht überzeugt von dem Verdacht seiner Frau und seines Sohnes.

„Vielleicht nicht, aber du musst doch zugeben … es ist wirklich erstaunlich. Er ist erstaunlich. Er kann fliegen, wie … alles was nur überhaupt in der Luft sein kann, hat er schnell unter Kontrolle. Er ist stark, hat Mut und er hat auch ganz schön was im Kopf. Du hast gesehen, wie unsere Technologie auf ihn reagiert und vor allem wie leicht es ihm fällt, mit ihr umzugehen. Als ob … als ob er niemals etwas anderes tat. Das alleine ist doch schon … Was spräche dagegen, ihn zu testen? Wenn nicht, dann … gut, na schön, dann ist er eben keiner von uns. Und wenn doch, würden unsere Chancen gegen Kieran etwas steigen.“

„Etwas steigen? Dorian, er wäre dann neben mir der Einzige, der … selbst wenn, er hat keine entsprechende Ausbildung.“

„Aber du hast sie. Du könntest ihn … trainieren. Du könntest ihm alles beibringen, was du weißt“, schlug Elisha vor.

„Wie bei Darius? Das hat schon damals nicht funktioniert“, knurrte Tristanius und wandte sich wieder zum Intensivraum.

„Damals wussten wir noch nicht, welche Gefahr Kieran darstellen würde. Als du Darius angefordert hast, war es bereits zu spät. Die Zeit um ihn auszubilden hat nicht mehr gereicht und das … war schlussendlich sein Verderben. Das und … seine Liebe zu Alexa.

Er starb, weil er … er starb, weil er Alexa so sehr geliebt hat, dass es ihn fast blind machte. Seine Angst um sie und sein Zorn auf Kieran haben ihn übermannt und Kieran … hat es natürlich eiskalt ausgenutzt. Darius mag vielleicht ein Agema gewesen sein, aber die Zeit seiner Ausbildung hatte einfach nicht ausgereicht. Ob sie für Sheppard reichen würde …“

Elisha hielt inne, als sie die Erkenntnis wie ein Schlag traf. Das war der Grund für sein Zögern. Es war kein Misstrauen oder mangelndes Vertrauen. Es waren die Erinnerungen an die Vergangenheit, Erinnerungen an den Schmerz und den Kummer, den Alexa einst ertragen musste und die Angst davor, dass so etwas noch einmal geschehen konnte.

„Das ist es, nicht wahr? Du fürchtest, dass so etwas nochmal geschieht. Du willst diesen Menschen nicht erklären, was los ist und sie nicht um Hilfe bitten, weil du fürchtest, dass das, was mit Darius geschah, auch mit einem von ihnen geschehen könnte. Deswegen hast du diesen Groll gegen Sheppard. Du willst ihn auf Abstand halten. Du willst ihn nicht in der Nähe deiner Tochter sehen, weil du fürchtest, die beiden könnten zueinanderfinden und Sheppard könnte es genauso ergehen wie Darius“, erklärte Elisha selbstsicher aber Tristanius versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

Sie kannte ihren Mann jedoch in und auswendig, um zu wissen, auf was sie zu achten hatte und tatsächlich verriet er sich durch ein winzig kleines Zucken seines Augenlides.

„Der Zug ist abgefahren“, kommentierte Dorian lächelnd und sah zu seiner Schwester hinunter, die noch immer bei Sheppard am Bett stand.

„Was immer das auch zu bedeuten hat, aber deine vorlauten Kommentare zehren arg an meinen Nerven, Dorian“, knurrte Tristanius verärgert, wunderte sich gleichzeitig aber über die Sprache, die sein Sohn sich offenbar von den Menschen schon angeeignet haben musste.

„Das bedeutet, dass zwischen Sheppard und meiner Schwester bereits etwas im Gange ist, das geradewegs darauf hinausläuft, dass … sie … irgendwann … du weißt schon“, erklärte Dorian und bemerkte den mehr als missbilligenden Blick seines Vaters, der bei jedem Wort offenbar immer intensiver wurde. „Oder?“, fügte er unsicher hinzu und sah Hilfe suchend zu seiner Mutter.

„Er hat recht und das weißt du auch. Du hast es doch erlebt, als Alexas empathische Fähigkeiten sie überforderten. Er spürt es, wenn sie in Schwierigkeiten gerät und sie nimmt Verbindung zu ihm auf. Alleine das kann schon ein Zeichen sein, dass er einer von uns ist. Steht nicht sogar in den alten Überlieferungen etwas über eine solche Bindung zwischen einem Agema und seinem Schützling?“

„Elisha-„

„Es spielt auch keine Rolle, Tristan. Du kannst nichts dagegen unternehmen. Wenn die beiden zueinanderfinden, sollten wir den Erleuchteten dankbar sein, dass sie unserer Tochter wohl gesonnen sind und sie nicht bis an ihr Lebensende alleine und einsam bleibt.“

„Ich denke, dass Sheppard nicht nur der Romantik wegen, ständig in Alexa´s Nähe ist. Sie haben vermutlich schon Verdacht geschöpft. Bei den Übertragungen mit Kolya wurde über einen Fremden gesprochen, der Alexa von früher kennen soll. Selbst wenn sie sich niemals an ihn erinnern wird, weil wir … und sie die Datenbank durchsuchen, bis ihnen schwindlig wird … früher oder später kommen sie Kieran auf die Schliche. Spätestens dann, wenn er sich zu erkennen gibt. Dummerweise wird es dann zu spät sein. Wenn es das nicht jetzt schon ist. Außerdem arbeiten sie schon aktiv an ihrem und unserem Schutz, oder ist dir entgangen, dass der Colonel, bevor er ins Koma fiel, Ronon befohlen hat, auf Alexa aufzupassen? Oder dass sie schon seit Tagen Wachen in den Korridoren vor unseren Quartieren postiert haben?“

„Nein, es ist mir nicht entgangen. Aber offenbar hast du Gefallen daran gefunden, meine Nerven zu strapazieren.“

„Was glaubst du, was mit meinen Nerven ist? Ich bin es leid, meine Schwester ständig belügen zu müssen. Jeden Tag muss ich ihr etwas vormachen und so tun, als sei nichts. Sie stellt Fragen über Darius und ich… weißt du, wie schwer es ist, wenn sie mich nach ihrem Versprochenen fragt und ich nur ganz bestimmte Bilder vor Augen habe? Bilder von seinem Tod, ihrer Verzweiflung, oder wie sie da lag und … mit dem Messer in der Hand und all das Blut… Pa, ich kann das nicht. Alexa ist meine Schwester und ich liebe sie, aber ich kann einfach nicht mehr lügen. Ich kann das nicht und ich kann das kein zweites mal durchmachen …“ Dorian schüttelte entnervt den Kopf und kehrte seinem Vater den Rücken.

Er lehnte seinen Kopf an die kühle Glaswand, schloss die Augen und schluckte einige Male. Wieder musste er einige schreckliche Bilder der Vergangenheit aus seinem Kopf verbannen. Doch recht schnell wurde ihm klar, dass er sie niemals wirklich vergessen könnte.

Tristanius hingegen sah seinen Sohn zunächst mit ausdruckloser Miene an, bevor er sich seiner Frau zuwandte, die offenbar auch mit den Erinnerungen zu kämpfen hatte. Zunächst wusste er nicht so recht, was er sagen sollte, also sah er wieder zu dem Colonel im Intensivraum. Seine Familie war noch immer anwesend und ließ sich von der jungen Ärztin einiges erklären und auch Alexa war noch immer bei ihnen, schien sich aber vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten zu können. Sein Blick fiel auf Ronon. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass er seit dem Ausfall des Colonels immer in Alexa´s Nähe war und auch, dass er seine Waffe bei sich trug. Auch wenn er sie unter seiner Kleidung zu verstecken versuchte, so konnte der General sie mit seinem geübten Blick ausmachen. Auch die Wachen in den Korridoren vor ihren Quartieren waren ihm nicht entgangen, genauso wenig die Zurückhaltung der Menschen, die doch mit fragenden Blicken einherging.

„Kommst du ungehindert an eine Blutprobe von Colonel Sheppard?“, fragte Tristanius schließlich.

„Ja, natürlich. Ich genieße vollstes Vertrauen unter den Menschen“, erklärte Elisha und sah schon hoffnungsvoll zu Dorian, den die Frage seines Vaters ebenfalls ein wenig überraschte.

„Dann teste ihn.“

„Ich werde das Ergebnis allerdings erst heute Abend erhalten.“

„Selbst wenn er das Merkmal in seinen Genen trägt … wird es allenfalls schwach sein. Außerdem ist er zur Zeit außer Gefecht gesetzt. Hinzu kommt, dass ich seinen Vorgesetzten, den Kommandanten des Stargate-Programms kennenlernen werde, ebenso auch einige Mitglieder dieses Komitees, dem Mister Woolsey angehört. Erst danach kann ich entscheiden, wie es weitergehen soll.“

„Ja, wenn Kieran dir nicht zuvor kommt“, kommentierte Dorian und verließ den Beobachtungsraum, bevor sein Vater ihn für das weitere vorlaute Kommentar zurechtweisen konnte.

„Du musst es ihm nachsehen, Tristan. Die Gedanken an die Vergangenheit setzen ihm schwer zu. Wie uns allen“, erklärte Elisha, als sie aufstand und an ihren Mann herantrat.

„Es wird wohl nicht bei den Gedanken bleiben … Alexa hat ihn nach Darius gefragt“, erklärte Tristan leise, worauf Elisha stöhnend ihren Kopf an seine Brust legte.

„Nein … oh nein. Ich hatte gehofft, dass wir noch etwas Zeit hätten und das wir ihr alles nach und nach erzählen könnten.“

„Ich weiß, ich auch. Ich glaube nicht, dass sie sich an alles erinnert, aber dennoch müssen wir mit ihr reden.“

„Ja, aber zuerst sollte sie etwas schlafen. Sie kann sich kaum auf den Beinen halten. Und ehrlich gesagt, kann ich langsam auch nicht mehr. Ich werde Colonel Sheppard noch eine Blutprobe entnehmen und den Test einleiten. Vielleicht können wir dann heute Abend mit ihr sprechen.“

Elisha kehrte in den Intensivraum zurück und unterstützte Jennifer dabei, alle Anwesenden weiter zu beruhigen und die Belagerung aufzulösen. Es hatte fast eine Stunde gedauert, bis alle außer dem Colonel und seinem Vater gegangen waren und sich wohl ebenfalls etwas Ruhe und Erholung gönnen wollten. Natürlich waren Alexa und Colonel Sheppards Mutter die Letzten, die gingen und das auch nur durch gutes Zureden und vor allem unter Protest.

Doch erst als auch Jennifer den Raum kurz verlies, kam Elisha dazu, dem Colonel eine Blutprobe zu entnehmen. Seinem Vater erklärte sie, dass dies für weitere Tests bezüglich des Erregers nötig sei, was eigentlich auch stimmte. Dass sie allerdings einen kleinen Teil der Probe entnahm und eigene Untersuchungen in ihrem Quartier anstellte, sollte niemand erfahren.

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Alexa betrat ihr Quartier und steuerte zielstrebig ihr Bett an, auf das sie sich wie erschlagen fallen ließ. Eine Weile betrachtete sie die Zimmerdecke und ließ die letzten Tage und Stunden in ihren Gedanken Revue passieren. Doch ein Gedanke jagte den nächsten und führte sie am Ende doch wieder zu dem Bild in ihrem Nachttisch, dass sie daraufhin hervorholte und eine Weile betrachtete. Noch immer wusste sie den Mann darauf nicht so recht einzuordnen. Sie erinnerte sich an eine gewisse Vertrautheit, sollte man ihrem Traum vor einigen Tagen Glauben schenken. Aber es war noch so viel, dass fehlte oder unklar schien. Ob sie jemals Klarheit darüber erlangen würde …

Ihre Gedanken rasten weiter, doch es dauerte nicht lange, bis sie eingeschlafen war.

Es war früher Abend als Alexa wieder erwachte, aber noch immer sehr erschöpft war. Nachdem sie sich im Badezimmer etwas frisch gemacht hatte, wollte sie nochmals in der Krankenstation vorbeisehen, um zu erfahren, ob Colonel Sheppard möglicherweise schon wieder erwacht sei. Doch ihre Mutter, die sich in der Zwischenzeit auch etwas ausgeruht hatte, und Doktor Beckett, der Jennifers Schicht übernahm, mussten sie enttäuschen. John war noch immer bewusstlos. Sein allgemeiner Zustand bessere sich aber zusehends und vom Erreger war noch immer keine Spur mehr zu sehen. Seinem Vater ging es auch schon viel besser und war gerade dabei, die erlittene Niederlage, nach einer Diskussion, die sich um eine weitere Nacht zur Beobachtung auf der Krankenstation drehte, zu verdauen. Er hatte versucht, sich gegen Doktor Beckett, Elisha und auch seine Frau durchzusetzen, wurde aber durch die Drei doch haushoch überstimmt. Mit verschränkten Armen saß er grummelnd im Bett und murmelte unverständlich Laute vor sich hin, die bei Carol und Dave aber nur ein amüsiertes Lächeln hervorriefen. Elisha hingegen hatte Mühe Alexa davon zu überzeugen, in die Kantine zu gehen, um endlich etwas zu essen. Seit Tagen war sie nur noch auf der Krankenstation und hatte sich beinahe ununterbrochen auf den Colonel konzentriert und dabei glatt das essen vergessen.

Erleichtert atmete Elisha auf, als Carol anbot, ihre Tochter zur Kantine zu begleiten und darauf achten zu wollen, dass sie auch wirklich etwas aß.

Kaum, dass ihre Tochter mit Carol, Dave und Doktor Jackson die Krankenstation verlassen hatte, ging auch Elisha zurück zu ihrem Quartier, in Erwartung bereits das erste Testergebnis ihrer Untersuchung von Colonel Sheppards Blutprobe zu erhalten. Doch der Test war noch nicht fertig.

„Noch nichts?“, ertönte die fragende Stimme ihres Mannes, der gerade aus dem Badezimmer trat.

„Nein“, antwortete Elisha und sah erfreut zu ihrem Mann, der offenbar gerade mit seiner Rasur fertig war.

Langsam ging sie auf ihn zu und stich sanft über seine Wange und sein Kinn, worauf er sie näher an sich in seine Arme zog.

„So lobe ich mir das. Glatt wie ein Baby-Popo.“

„Alles für dich … nur für dich“, wisperte Tristanius und strich seiner Frau durch die Haare.

„Mhm, für mich und deine Tochter, die Bärte bei Männern auch nicht ausstehen kann.“

„Das hat sie von dir“, kommentierte Tristanius lächelnd.

„Du solltest froh sein, denn ein Bart steht dir wirklich nicht. Der macht dich so alt.“

„Hm, dabei bin ich doch erst über dreizehntausend Jahre alt und stehe in der Blüte meines Lebens.“

„Weißt du, das … muss noch geprüft werden. Neulich kam ich nicht wirklich dazu, das zu prüfen. Ich kam eigentlich zu recht wenig. Ich war zu sehr damit beschäftigt, einfach zu atmen, zu genießen und zu versuchen, nicht den Verstand zu verlieren, um den du mich fast immer bringst und vor allem … nicht so laut zu schreien, dass auf einmal eine ganze Marineeinheit mit schweren Waffen in unserem Schlafzimmer steht und glaubt, hier würde ein Verbrechen stattfinden.“

„Sollen Sie es mal wagen. Ich werde Ihnen dann schon zeigen, was-„

„Im Moment haben wir allerdings andere Sorgen. Weitaus unangenehmere. Alexa war eben in der Krankenstation um sich nach Colonel Sheppard zu erkundigen. Danach ist sie mit seiner Mutter zur Kantine gegangen. Immerhin hat sie seit Tagen kaum etwas zu sich genommen. Tristan, es ist Abend. Es wird Zeit … wir müssen mit ihr reden.“

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Alexa hatte tatsächlich einen solchen Hunger, dass sie ganze zwei Portionen des vegetarischen Menüs verdrückte, danach noch einen Burger probierte und ebenfalls zwei Desserts in Form von Pudding und einem Obstsalat herunter brachte. Carol, Dave und Daniel staunten nicht schlecht und fragten sich, wo die junge Frau alles hinsteckte.

„Das nenne ich einen Hunger“, meinte Carol lächelnd, als sie gerade den letzten Schluck ihres Tees trank.

„Tut mir Leid, normalerweise esse ich nicht so viel“, entschuldigte sich Alexa verlegen.

„Normalerweise essen Sie wohl auch eher regelmäßiger“, gab Carol wieder zurück.

„Ja, das war … etwas stressig in der letzten Zeit.“

„Wem sagen Sie das?“

Gerade als Alexa wieder etwas erwidern wollte, sah sie ihre Eltern die Kantine betreten und schlagartig stellte sich ein ungutes Gefühl ein. Und das lag nicht nur an ihren versteinert wirkenden Mienen. Nein, die Emotionen, die sie von den beiden empfing, gefielen ihr ganz und gar nicht. Trauer, Wut, Angst, Niedergeschlagenheit, Sorge, Verzweiflung … es war eine ganze Flut der unterschiedlichsten Gefühle. Ihr erster Impuls befahl ihr regelrecht, auf Abstand zu gehen, andererseits riet eine innere Stimme ihr, zu bleiben und abzuwarten.

„Alexa … du hast endlich gegessen, wie ich sehe. Das ist gut. Geht es dir besser?“, wollte Elisha wissen und versuchte sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen.

„Ja, es … es geht mit gut. Noch. Was ist passiert?“, fragte sie vorsichtig.

„Nichts, nichts. Es ist nichts passiert, keine Sorge. Aber …“

Elisha brachte aus irgendeinem Grund die Worte nicht heraus und sah verzweifelt zu ihrem Mann, der für sie übernahm.

„Dorian hat uns mitgeteilt, dass du ihn nach Darius Pelon gefragt hast … es gibt da etwas, was du wissen solltest. Wir … wir müssen reden.“

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Das Gespräch mit ihrer Tochter hatte Elisha mehr Kraft gekostet als vermutet. Es hatte gerade mal zwei Stunden gedauert und doch kam es ihr wie eine halbe Ewigkeit vor. Alexa wirkte gefasst, doch sie selbst hatte arg mit ihren eigenen Emotionen und Erinnerungen zu kämpfen. Immer wieder kamen ihr die Bilder über den Kummer ihrer Tochter in den Sinn, die Angst, als sie plötzlich verschwunden war und die Sorge, die sie verspürte, als sie nach Monaten wieder zurückgekehrt war und vollkommen verändert wirkte.
Für einen Moment fand sie es beinahe tröstlich, dass Alexa gerade diese Erinnerungen fehlten, aber andere würden zurückkehren und somit auch ihr Kummer. Es war einfach nicht normal und schon gar nicht recht, dass sie das noch einmal durchmachen musste.

„Habt ihr … habt ihr mit ihr gesprochen?“, rief sie die fragende Stimme Dorians aus ihren Gedanken, der noch immer mit dem räumen und zuordnen der verschiedenen Dinge im Quartier seiner Eltern beschäftigt war.

Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die restliche Habe der Familie zu sortieren und umzuräumen und sie später seiner Schwester, sich und gegebenenfalls seinen Eltern zukommen zu lassen. Es war ihm einfach nicht wohl dabei, zugegen zu sein, wenn Alexa die Wahrheit über den Mann auf dem Bild, das zwischen ihren Sachen lag, erfahren würde. Zumal er selbst einst sehr eng mit ihm befreundet war. Abgesehen davon, dass die eigentliche Wahrheit ohnehin wieder verschleiert werden würde, was ihm so gar nicht gefiel.

„Ja.“

„Und? Wie … wie hat sie es aufgenommen?“

„Besser als gedacht“, erwiderte Tristanius, der sich seufzend in einen Sessel niederließ.

„Das liegt wohl daran, dass sie sich kaum bis gar nicht an ihn erinnert“, fügte Elisha hinzu und widmete sich wieder den kleinen Geräten, die noch immer die Blutprobe von John Sheppard analysierten.

„Vielleicht hätten wir noch etwas warten sollen. Oder womöglich …“

„Gar nichts sagen sollen?“, unterbrach Elisha ihren Mann.

„Ich glaube, das wäre ganz und gar nicht gut. Sie mag sich jetzt noch nicht so recht an Darius erinnern, aber wenn es so weit ist, dann … es wird sie wieder schwer treffen. Vielleicht haben wir durch das Gespräch dafür gesorgt, dass der folgende Schock etwas milder ausfällt.“

„Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn sie eines Tages die ganze Wahrheit erfährt … Was habt ihr Alexa überhaupt erzählt?“, wollte Dorian wissen und wühlte weiterhin in einer Box.

„Das gleiche wie damals. Was anderes konnten wir auch nicht erzählen? Es muss mit ihren übrigen Erinnerungen übereinstimmen, sonst…“

„Verstehe.“

„Wie sieht es eigentlich mit dem Test aus? Ist er immer noch nicht fertig?“, fragte Tristanius und brachte damit seinen Sohn um jede Möglichkeit, nochmals über die Vergangenheit und die Prozedur, die sie bei Alexa vornehmen mussten, diskutieren zu können.

„Nein“, antwortete Elisha als sie nochmals nachsah.

„Wieso dauert das so lange? Das ist ungewöhnlich.“

„Ich habe die Parameter der Analyse auf die momentane Begebenheiten anpassen müssen. Colonel Sheppards Infizierung mit diesem Mikroorganismus muss berücksichtigt werden, sonst könnte das Ergebnis verfälscht werden. Außerdem lasse ich zwei Tests simultan laufen, um ganz sicher zu gehen. Es wird noch etwas dauern, aber spätestens morgen haben wir die Resultate. Dorian, mach doch morgen damit weiter. Es ist schon spät, du solltest dich schlafen legen“, bat Elisha, als sie liebevoll die den Arm ihres Sohnes drückte, der seinen Eltern daraufhin eine gute Nacht wünschte und in sein Quartier ging.

Elisha hingegen wollte noch einmal auf der Krankenstation vorbei sehen.

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Carol, Dave und Patrick hatten sich angeregt, aber doch leise im Krankenzimmer unterhalten, als man ein leises Stöhnen von John hörte. Ganz langsam kam er wieder zu Bewusstsein und nach anfänglicher Benommenheit und Verwirrung, wirkte er schließlich doch munterer als zuvor.

„John?“

„Mom?“

„Du warst schon wieder weggetreten. Wie geht es dir? Hast du Schmerzen? Warte, ich hole einen Arzt.“

Carol eilte aus dem Krankenzimmer, nur um Augenblicke später mit Jennifer und Elisha zurückzukehren. Auch Carson wollte einmal bei John vorbei sehen und schloss sich der kleinen Visite an.

„Sieh an! Da ist er ja wieder“, begrüßte der Schotte John, der noch immer etwas verstört durch die Gegend blickte.

„Wie fühlen Sie sich, Colonel?“, fragte Jennifer und kontrollierte dessen Puls und die Infusion, die noch nicht ganz durchgelaufen war.

„Sagen Sie´s mir, Doc. Wie lange war ich weg?“, fragte John mit noch immer krächzender Stimme.

„Tja, zusammengefasst fast zwei Tage. Wissen Sie noch, was passiert ist?“

„Wage. Ich weiß noch, dass ich heute Morgen…nein, nicht heute. Ich weiß nicht … ich war auf einem Planeten und da waren Blumen…Rosen oder so und dann … ich kann mich nur noch erinnern … das mein ganzes Leben irgendwie an mir vorbeizog. Und das…“ John schwieg und sah mit einem verwirrten Blick zur Seite. Sein Vater saß aufrecht im Bett und musterte John sorgenvoll. „Wieso warst du da?“

„Weil er dir geholfen hat, John“, erklärte Carol und drückte wieder Johns Hand.

„Colonel, Sie waren gestern Morgen mit Ihrem Team auf einer Erkundungsmission. M1-899. Erinnern Sie sich? Sie hatten dort wohl eine etwas unangenehme Begegnung mit einer sehr lebendigen und aggressiven Rosenhecke. Sie hat Sie gekratzt und dabei mit einem bisher fremden Mikroorganismus infiziert. Am Nachmittag sind Sie dann im Quartier Ihres Vaters zusammen gebrochen. Kurz gesagt, hat sich dieser Organismus von einem bestimmten Endorphin ernährt, während ein anderes ihn bekämpfte. Die Herstellung eines künstlichen Endorphins hätte zu lange gedauert, also … mussten wir schnellstens einen anderen Weg finden, um Sie zu retten.“

„Entschuldige John, aber es stand so kritisch um dich… man hat ein Gerät von der Erde gefordert, dass deinem Vater ermöglichte… in dein Unterbewusstsein zu dringen und dir Beine zu machen, damit du dich an bestimmte Dinge erinnerst“, erklärte Carol weiter, als Jennifer fragend zur Mutter sah.

„Dann war das alles … doch kein Traum.“

„Nein … war es nicht. Nicht in diesem Sinne“, erwiderte Carol.

„Warum? Ich meine …“

„Wie gesagt, der Erreger ernährte sich von Endorphinen, die bei angenehmen Träumen, Erinnerungen oder Erlebnissen ausgeschüttet wird. Ein anderes Endorphin, das bei solchen Erinnerungen und Träumen, wie du sie hattest, ausgeschüttet wird, bekämpfte ihn und hat ihn schlussendlich vernichtet. Es gab keine andere Möglichkeit, John.“

John sah sich verwirrt um und erst jetzt bemerkte er die vielen Monitore im Zimmer. Auch das Gerät, das sie vor einiger Zeit schon einmal nutzten, um ein Kristallwesen, das sich in Rodney einnistete, zu verjagen, stand direkt neben seinem Bett. Ebenso ein weiteres, das definitiv antikischen Ursprungs sein musste. Ihm schwante Übles, als er langsam zu seiner Mutter sah. Sie wirkte blass und erschüttert, auch wenn sie versuchte ihn mit ernstem Blick zu begegnen.

„Du hast … hast … alles … mitangesehen?“

„Ja“, antwortete sie leise und nickend. Es folgten einige Augenblicke in denen sich die beiden schweigend ansehen. Doch letzten Endes war es John der ihrem Blick nicht länger stand hielt.

John starrte auf seine Decke, in die er seine Hände krallte. Er glaubte, seine Kehle würde sich zuschnüren. Oder war es eher eine Art Unsicherheit? Beklemmung?
Was seine Mutter nun denken würde? Was würde seine Familie nun denken? Sein Vater, sein Bruder? Sie haben Dinge gesehen … Seiten an ihm …
Er wusste nicht was er nun sagen sollte. Vor allem machten es ihm sein Vater, der ihn noch immer mit einem nichtssagenden Blick musterte und sein Bruder, dessen Blick schon fast Mitleid ausdrückte, nicht leichter. Eine solche Aufmerksamkeit war er nicht gewohnt. Schon gar nicht in einer solchen Situation. Und da die meisten Personen um ihn herum auch noch zu seiner Familie gehörten … seine Familie.

Bisher war John eher ein Einzelgänger gewesen, der unter Umständen seine Freunde und Kameraden, Ronon, Teyla, Carson, auch Jennifer und sogar Rodney als eine Art Familie ansah.
Aber nun saß seine Mutter an seiner Seite, sein Bruder stand am Fußende seines Bettes und sein Vater saß in seinem Bett neben ihm. Die Geschehnisse der vergangenen Tage verwirrten ihn noch immer so sehr, dass er einfach nicht wusste, wie es nun weiter gehen, geschweige denn, was er sagen sollte.
Seine Gedanken rasten, waren wirr. Voller Bilder, von denen die Hälfte vermutlich noch mit einigen Erinnerungen vermischt war. Seine Überlegungen und die Suche nach passenden Worten wurden jäh durch seine Mutter beendet.

„Dir ist klar, dass wir uns unterhalten sollten. Wir werden über einiges sprechen müssen, John.“

John schluckte, sah zögernd und geradezu schuldbewusst zu ihr. Er konnte einen gewissen Schmerz und eine Bedrückung in ihren Augen wahrnehmen. Das Gesehene musste sie schwer getroffen und teilweise erschüttert, ganz bestimmt aber verängstigt haben. Sie hatte Seiten an ihm gesehen, die er ihr unter allen Umständen vorenthalten wollte. Er wollte nicht, dass sie sich übermäßig ängstigte, vor allem aber wollte er nicht, dass sie sich vor ihm fürchtete.
Er wusste, dass seine Mutter immer eine starke Frau gewesen war, er wusste auch, dass sie durch ihre Arbeit schon so einiges gesehen und gehört hatte, aber es war etwas anderes, wenn das eigene Fleisch und Blut darin involviert war. John war sich nicht ganz sicher, ob seine Mutter deshalb mit ihm über die Ereignisse sprechen wollte, um es selbst zu verarbeiten, oder weil sie womöglich glaubte, dass es ihn noch immer schwer beschäftigen könnte.

Der Knoten löste sich allmählich. Es war schon klar, dass seine Familie früher oder später einiges erfahren würde. Auch wenn ihm die Art und Weise und vor allem die Menge und die Detaillastigkeit nicht gerade gefielen. Vielleicht war es aber auch einfach das Beste so. Immerhin hatte die Fragerei und die Geheimniskrämerei nun ein Ende und was die Gespräche angingen … mit seiner Mutter würde er allemal besser und ungezwungener sprechen können, als mit Heightmeyer oder diesem Dr. Wingers.
Schlussendlich nickte John zögerlich, als er ihren Blick erwiderte.

„Aber alles zu seiner Zeit. Zuerst musst du wieder richtig gesund werden.“

Wieder nickte John, doch dann hielt er irritiert inne. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er seine Aufmerksamkeit seinen Gliedern widmete. Allesamt waren sie noch immer schwer und nur träge konnte er sich bewegen, doch eines seiner Beine spürte er überhaupt nicht.

„Was ist mit meinem Bein? Warum fühle ich nichts? Warum … warum kann ich es nicht bewegen?“

„Sie haben noch immer kein Gefühl? Lassen Sie mal sehen … versuchen Sie Ihren Fuß mal zu bewegen … einen Zeh?“

„Es geht nicht“, meinte John und ignorierte die besorgten, abwartenden und auch hoffenden Blicke aller Anwesenden.

„Spüren Sie das, Colonel?“, fragte Jennifer, als sie mit einem Finger leicht über Johns Fußsohle strich.
Doch John reagierte nur mit einem Kopfschütteln.

„Hm, fühlen Sie eine gewisse Wärme oder Kälte in Ihrem Fuß?“

„Ich fühle gar nichts. Was hat das zu bedeuten?“, erwiderte John fragend, wobei seine Tonart von Sorge, aber auch Gereiztheit zeugte.

„Das war der Erreger. Er ist durch die Wunde an Ihrem Schienbein eingedrungen und hat sich am Ischiasnerv festgemacht. So konnte er zum Gehirn gelangen, dabei hat er die Nerven zwar nicht beschädigt, aber wohl lahmgelegt“, erkläre Jennifer, während Johns Blick sich von Verirrung zu Fassungslosigkeit verwandele.

„Lahm … gelegt. Ich … ich bin gelähmt?“

„Vorübergehend!“, korrigiere Jennifer sich schnell. „Wir glauben, dass das Gefühl in Ihrem Bein bald zurückkehrt und Sie bald wieder laufen können.“

„Sie glauben?“, fragte John mehr als skeptisch, worauf sich Carson zu Wort meldete.

„Offenbar war das Ziel dieses Organismus eine Art von Symbiose, Transformation oder auch Fortpflanzung. Er hat die Nerven als den schnellsten Weg und einige chemischen Botenstoffe in Ihrem Körper als für sich schädlich empfunden, konnte aber nicht aggressiver dagegen angehen. Alles, was er tun konnte war lahmlegen, daher empfinden Sie auch alle anderen Ihrer Glieder als taub oder schwer. Aber das vergeht. Ihr Bein wird allenfalls ein paar Tage brauchen. Danach noch etwas Physiotherapie und bald sind Sie wieder voll einsatzfähig“, erklärte Carson.

„Sicher?“

„Ziemlich, John“, bestätigte Carson.

„Na siehst du! Das wird wieder. Du gönnst dir ein paar Tage Ruhe und in der Physiotherapie kannst du langsam wieder zu Kräften kommen und ehe du dich versiehst, bist du wieder topfit und kannst wieder raus auf Missionen“, entgegnete Carol schnell, bevor John sich weiterhin mit Zweifeln befassen würde.

„Ich habe Woolsey schon Bescheid gegeben. Lorne wird Sie so lange vertreten“, erklärte Jennifer weiter, während sie Johns Wunde begutachtete. „Und das hier sieht schon viel besser aus. Wenn es weiter so geht, kann Elisha es morgen mit einem ihrer Geräte heilen. Dann haben Sie das schon mal weniger.“

John nickte, doch so ganz wohl war ihm noch immer nicht. Auch wenn man ihm erzählt hatte, was sich in den letzten Stunden oder besser gesagt Tagen abgespielt hatte und er sich auch ziemlich gut an fast alles erinnerte, was in dieser Zeit oder überhaupt jemals in seinem Leben stattgefunden hatte, die sorgenvolle Musterung seiner Familie behagte ihm nicht. Ganz besonders die Fürsorge seiner Mutter. John versuchte sich abzulenken und ließ seinen Blick wieder durch das Zimmer schweifen.

„Was ist mit Alexa? Wo ist sie?“

„Im Bett hoffe ich. Colonel, es ist fast elf Uhr in der Nacht. Die meisten Leute schlafen bestimmt schon … aber keine Sorge. Es geht ihr gut“, erklärte Elisha lächelnd, während sie einige ihrer Geräte endgültig abbaute und verstaute und schließlich kurz Johns Schulter drückte, wohlwissend und anerkennend, dass er sich sehr um ihre Tochter sorgte.

 ~~~///~~~

Patrick hatte ohnehin einen leichten Schlaf. Was nicht verwunderlich war, bei den Eindrücken, die er in den letzten Stunden gewonnen hatte.
Aber mittlerweile war es fast drei Uhr in der Nacht, als er hörte, wie sich John offenbar im Schlaf hin und her wälzte und dadurch das Krankenbett leise knarzte. Er murmelte unverständliches vor sich hin, wobei sich auch gelegentlich ein kleines, fast schmerzerfülltes Stöhnen dazwischen schummelte. Er hatte einen Albtraum.

„John … John, wach auf.“

Nachdem er ihn durch bloßes Ansprechen nicht wecken konnte, schaltete Patrick das Licht an und trat an das Krankenbett seines Sohnes und rüttelte an dessen Schulter, worauf er aus seinem Traum schrak. Patrick hatte gerade noch so einem reflexartigen Schlag ausweichen können, so dass John nur das Handgelenk seines Vaters ergreifen konnte.

„Hey! Vorsicht! Immer schön langsam … du hattest einen Albtraum … was mich ehrlich gesagt nicht verwundert.“

John japste noch einige Male nach Luft, sah sich verwirrt um, bevor er registrierte, dass nur noch er und sein Vater im Krankenzimmer waren. Ertappt ließ er dessen Hand wieder los.

„Wo sind Mom und Dave?“

„Im Bett, in ihren Quartieren. Es ist fast drei in der Nacht. Weißt du noch? Wir hatten uns noch ein bisschen unterhalten, aber dann bist du irgendwann eingeschlafen. Daraufhin haben die Doktoren Keller und Beckett auch uns anderen eine Portion Schlaf verordnet und deine Mutter und Dave aus der Krankenstation gescheucht.“

John rieb sich träge übers Gesicht und vermied es seinen Vater direkt anzusehen. Noch immer war ihm in Anbetracht der letzten Stunden und Tage nicht ganz wohl und wusste auch nicht so recht, was er sagen sollte.

„Geht es dir gut? Hast du Schmerzen, oder … soll ich jemanden rufen?“, fragte Patrick um die bedrückende Stille zwischen ihnen zu brechen.

„Es ist … mit geht’s gut“, entgegnete John knapp.

„Willst du … ähm… willst du darüber sprechen?“

„Worüber?“

„Über das, was du geträumt hast. Willst du mir davon erzählen?“

„Nein.“ Johns Stimme klang noch einen Ton schroffer.

Resigniert nickte Patrick, auch wenn er zum Teil verstehen konnte, dass John noch immer recht verschlossen und schweigsam reagierte. Während er dieses Verhalten noch der Problematik zwischen ihm und seinem Sohn zuschrieb und sich versuchte einzureden, dass es noch mehr bedurfte, als ein geradezu erzwungenes Gespräch im Unterbewusstsein seines Sohnes, hatte John stattdessen noch immer mit den Bildern seines Albtraumes zu kämpfen.
Wieder einmal waren die Wraith ein Hauptbestandteil, ganz besonders Todd, aber auch Kolya und die Folterkammer, in der er einst am Stuhl gefesselt saß und Kolyas geradezu perversem Verstand ausgeliefert war. Nur diesmal saß nicht er auf dem Stuhl.

Nein, er würde seinem Vater nicht erzählen, dass gerade dieser in seinem Traum seinen Platz auf dem Stuhl eingenommen hatte, während seine Mutter von anderen abtrünnigen Genii gefesselt wurde und mit einem paralysierten Dave gezwungen wurde, dabei zuzusehen, wie sich ein Wraith nach dem anderen an ihm labte.

„Na schön, dann“, seufzte Patrick, dimmte das Licht wieder und legte sich zurück in sein Bett. „´Nacht, John.“

„´Nacht.“

Eine Weile herrschte Ruhe und Schweigen auf der Krankenstation.
Es war John, der einfach keine Ruhe fand und das leise aber doch hörbare, leicht unregelmäßige Atmen seines Vaters verriet ihm, dass auch er noch nicht wieder eingeschlafen war.
Es nützte alles nichts. So sehr er sich auch bemühte, ein Gedanke jagte den nächsten und plagte immer mehr sein Gewissen.
Nicht nur die Tatsache, dass seine Familie nun wusste, was in der Vergangenheit, in seiner Vergangenheit geschehen war, und das auch noch peinlich genau, nein, sie waren auch noch teilweise Zeuge von Johns dunklen Seiten gewesen. Seiten, für die sich John anfangs schämte, sie nun aber verfluchte, manchmal aber auch akzeptierte, ja, sie gelegentlich begrüßte. Sie sorgten dafür, dass er schon so manches überstanden und überlebt hatte.
Doch nun beschäftigten ihn aber die Gedanken an seinen Vater.
Er kam nicht umhin, immer wieder an das zu denken, was er ihm in seinem Unterbewusstsein gesagt hatte. Was er ihm gestanden hatte.
Es war das gewesen, was ihm schon seit Jahren auf dem Herzen gelegen hatte. Das, war für ein klärendes Gespräch, vielleicht sogar eine Versöhnung nötig war. Es fehlte im Grunde nur noch eines. John müsste ebenfalls die Karten auf den Tisch legen und den Mund aufmachen. Sein Vater hatte es geschafft. Er hat es getan und … ja, er lebte noch. Vor allem schien es ihm dadurch besser zu gehen.
Also warum fiel es ihm so schwer?
Verbohrte Sturheit, die sich schon tief in das Verhalten eingegraben hatte, dass … oder war es der eigene Stolz, der alles überragte?
Zum ersten Mal hatte John einen vagen Eindruck davon gewonnen, wie es seinem Vater all die Jahre gegangen sein musste und das setzte ihm auch wieder zu.
Es war zum verrückt werden. Sie waren so weit gekommen und standen so dicht vor dem Ziel und nun sollte es ausgerechnet wegen seines Unvermögens, über den eigenen Schatten zu springen, scheitern?

-Verdammt John! Was soll´s ? Mach endlich den Mund auf!-, schallte John innerlich zu sich selbst, als er kurz die Augen schloss, tief durchatmete und sich etwas zu seinem Vater drehte.

„Dad …“

„Hm?“

„Ich …“

Das konnte doch nicht wahr sein? Sollte das Mundwerk tatsächlich schneller gewesen sein, als der Verstand? John hatte den Mumm gefunden, den Mund aufzumachen, doch in seinem Bestreben, endlich schnell alles ins Reine zu bringen, wusste er plötzlich nicht mehr, was er sagen sollte.
Immer wieder schnappte er nach Luft, setzte zu sprechen an und doch kam kein Wort über seine Lippen.
Zunächst geduldig wartete Patrick, doch als er genauer zu John sah, ahnte er, was in seinem Ältesten vor sich gehen musste und womit er haderte.

„Was ist denn?“, fragte Patrick nach und versuchte so neutral wie möglich zu klingen.

„Ich … nichts. Ich … muss nur mal zur Toilette“, brachte John schnell hervor, als ihm wirklich nichts besseres einfiel, er aber so schnell wie möglich der Situation entkommen wollte.

„Soll ich dir helfen? Kommst du an die Bettpfanne ran?“

„Bettpfanne? Ich brauche keine Bettpfanne …“, murrte John, und begann sich aus der Bettdecke zu schälen, in die er sich während seines Traumes regelrecht verwickelt hatte.

Erst als Patrick das Licht wieder einschaltete und sich aufsetzte, hatte John Anfang und Ende der Decke finden können und sich so besser auswickeln können.

„Du willst doch jetzt nicht … John, das wird nicht funktionieren. Dein Bein wird da nicht mitmachen“, erwiderte Patrick, der dem Szenario mit ungläubigen Kopfschütteln folgte.

„Ich habe zwei Beine.“

„Willst du jetzt etwa durch die Gegend hüpfen? Herrgott nochmal hol die verdammte Pfanne und gut ist.“

„Ich will die blöde Pfanne nicht benutzen. Das sind gerade mal ein paar Meter bis zum Klo. Die werde ich doch wohl noch schaffen.“

„Das glaube ich nicht. Selbst dein gesundes Bein ist noch schwach. John, du wirst wie ein Messer zusammenklappen.“

„Werden wir ja sehen.“

„Mein Gott! Jetzt geht das schon wieder los … All das nur um nicht mit mir zu sprechen? Um … um mir und dieser Situation zu entkommen?“, platzte es aus Patrick heraus, was John augenblicklich innehalten ließ.

„Blödsinn. Wir haben doch gesprochen. Ich muss nur mal aufs Klo und … und außerdem habe ich Hunger.“

„Natürlich. Es ist leichter irgendwelche Gründe vorzuschieben und sich zurückzuhalten, sich zu verbarrikadieren oder in deinem Fall, sich aus dem Staub zu machen. Nur zu! Versuch dein Glück! Allenfalls schaffst du es bis zur Toilette zu hüpfen und dann? Dann wirst du kaum noch die Kraft haben, überhaupt in dein Bett zurück zu kommen.“

„Was soll denn das? Alles was ich will, ist in Ruhe aufs Klo zu gehen. Ich war schon seit Tagen nicht mehr-“,.

„Mag sein. Aber wir beide wissen, dass es nur ein Vorwand ist. Du hast eben etwas sagen wollen, John“, erwiderte Patrick schell und warf nun ebenfalls die Decke zur Seite um wieder aufzustehen.

„Ich weiß nicht was du meinst. Ich werde jetzt endlich aufs Klo gehen“, gab John gereizt zurück und beeilte sich, das gesunde Bein über die andere Bettkante zu schwingen und das lahme nachzuziehen.
Langsam kam er sich wie ein kleiner Junge vor, der für etwas getadelt werden sollte.

„John, ich bitte dich, das wird nicht funktionieren. Du wirst dich nicht halten können.“

„Jaja, wenn du meinst.“

Johns Stimme triefte schon fast vor Trotz, dennoch ignoriert er das zittrige Gefühl in seinem gesunden Bein und erst recht das merkwürdige Gefühl eines weich werden des Knies.
Patrick war nicht schnell genug bei John, um ihn aufzufangen und zu stützen. Mit einem lauten Plumps fiel er zu Boden, kaum dass seine Füße diesen berührten.

„Deine Sturheit ist wirklich unglaublich … Hast du dir wehgetan?“, fragte Sheppard Senior, der sich zu John herunterbeugte und ihm half, sich aufzurichten und gegen das Bettgestell zu lehnen, denn auch in Johns Armen schien die Kraft zu versagen.

Enttäuscht und resigniert starrte dieser zu seinen Füßen. Zuerst hatte er seine Wut über sich selbst und über seine dumme Annahme, er könne sich so einfach davon stehlen, hinunter schlucken müssen, bevor er seinem Vater mit einem stummen Kopfschütteln antworten konnte.

Patrick seufzte leise, bevor er sich unter anstrengendem Stöhnen neben seinen Sohn auf den Boden setzte. Die hockende Haltung verlangte seinen Kniegelenken wohl zu viel ab.

„Was ist das nur mit dir und deinem Drang, ständig stiften gehen zu wollen? Als Kind warst du schon so. Du hattest eine Erkältung und 39 Grad Fieber – du bist aus dem Bett geflüchtet und hast mit dem Nachbarsjungen in deren Garten Drachensteigen lassen, statt im Bett zu liegen. Habe ich dir mal Hausarrest aufgebrummt, bist du aus dem Kellerfenster raus. Und nun … nach allem, was ich gesehen habe – eine Verletzung kann noch so schlimm sein und egal welche Anordnungen dir die Ärzte geben, spätestens in der Nacht bist du verschwunden. Ich hatte gehofft, du wärst in dieser Beziehung etwas erwachsener geworden. Jetzt, wo wir eine zweite Chance bekommen haben, unsere Beziehung zu verbessern und all die Dinge auszusprechen, die wir früher für uns behalten haben … mein Gott, jetzt höre ich mich schon so an, wie deine Mutter … wir haben einen Anfang geschaffen, John. Wir sollten es auch endlich beenden, findest du nicht?“

„Ich weiß auch nicht. Ich … ich … ich bin nicht gut darin. In solchen Sachen.“

„Ts, denkst du, ich bin gut darin?“

„Na ja, du … wie du sagtest, du hast ja einen Anfang gemacht und der war … Ich weiß nicht, ob ich es gekonnt hätte“, gab John zu.

„Das wirst du nicht erfahren, wenn du es nicht versuchst“, meinte Patrick ruhig und sah zu John.

John erkannte die leichte Forderung in seiner Stimme und er war sich sicher, dass er diese auch in seinem Blick wiederfände, würde er ihn nun ansehen.
Sein Vater hatte Recht und auch die kleine innere Stimme seines Gewissens meldete sich wieder.

„Ich dachte nur … ich müsste auch etwas sagen. Nachdem du …“

„Ist gar nicht so leicht, hm? Glaub mir, ich weiß, wie es ist. Allerdings… erinnere ich mich an eine Zeit, an einen Moment, in dem du genau sagen konntest, was dich bewegte, was in dir vorging. Und du hast dich da auch nicht gerade zurückgehalten.“

Es brauchte nur einen Moment und einen kurzen Blick zu seinem Vater, bis John klar war, worauf er hinaus wollte und Patrick war sich dessen wohl bewusst. Er hatte John jetzt genau da, wo er ihn wollte. Natürlich nicht am Boden liegend so wie jetzt, aber er konnte ihm nicht mehr entkommen und nun endlich eine allerletzte, schmerzliche Erinnerung in ihm wachrufen, die sie gemeinsam teilten und verarbeiten mussten.

„Mom“, murmelte John, als in ihm die ohnehin schon schmerzhaften Erinnerungen noch mit einem bitteren Beigeschmack hochkamen.

Angefangen hatte alles mit einem Streit. Stanford gegen Harvard. Während Sheppard Senior schon regelrecht darauf bestand, dass John der Tradition folgen und sein Studium in Harvard aufnehmen sollte, war John ganz anderer Meinung. Er wollte nach Stanford. Er wollte in Kalifornien bleiben. Immerhin war Stanford ebenfalls eine äußerst renommierte und angesehene Elite Universität, doch für seinen Vater schien sie wohl nicht gut genug.
Damals dachte John, dass es weniger der Ruf war, sondern eher das Durchsetzen seines Willens. Dabei hatte er noch nicht einmal den Highschool-Abschluss. Er hatte noch ein ganzes Jahr vor sich. Tagelang haben sie sich gestritten und versuchten sich gegenseitig in Sturheit und Unnachgiebigkeit zu übertreffen. Doch dann geschah etwas, was ihren Streit zunächst beenden sollte.

John würde niemals vergessen, wie sein Vater einen Telefonanruf entgegen nahm, dass ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht vertrieb und ihn wie vom Donner gerührt in seinen Sessel sinken ließ. Keine halbe Stunde später fand er sich mit seinen Söhnen und der Haushaltshilfe im Krankenhaus wieder.
John und Dave haben zunächst nicht verstanden, warum sie ihn dorthin begleiten sollten. Doch später hatte ihr Vater ihnen erklären müssen, dass ihre Mutter einen schweren Autounfall hatte.

John erinnerte sich noch so gut daran, wie bleich sein Vater dabei war, wie er immer wieder mit zittriger Stimme versuchte ihnen zu erklären, was genau geschehen war und wie es nun weiterginge. Er war ein Schatten seiner selbst. So hatte er ihn noch nie gesehen.

Die Ärzte hatten alles in ihrer Macht stehende getan, doch Carols Verletzungen waren zu schwer. Sie konnten nur noch Schmerzmittel verabreichen.
Dabei wirkte seine Mutter noch recht munter, als sie noch mit Patrick und den Jungs sprach. Während sein Bruder noch glaubte, es wäre alles halb so schlimm, als das, was sein Vater und die Ärzte ohne Zurückhaltung aussprachen, glaubte John ihnen. Aus irgendeinem Grund ahnte er, dass die Prognosen eher eintrafen, als erwartet. Und so kam es auch. Seine Mutter hatte den folgenden Tag nicht mehr erlebt. Frühabends war sie aufgrund der vielen Medikamente eingeschlafen, aber sie wachte nicht mehr auf.

Die darauf folgenden Tage liefen für John wie in Zeitlupe ab. Auch die Beerdigung und die darauffolgende Trauerfeier verfolgte er wie betäubt. Die meiste Zeit zog er sich in sein Zimmer zurück und kümmerte sich mehr um seinen jüngeren Bruder, der beinahe pausenlos weinte und seiner Trauer freien Lauf ließ. John wünschte sich damals, seine Trauer ebenfalls auf einem relativ normalen Weg zu bewältigen, doch alles was er bei dem Gedanken an seine Mutter und ihren Tod verspürte, war Wut.
Wut über den angetrunkenen Lkw-Fahrer, der in den Wagen seiner Mutter rein krachte. Wut über die Tatsache, dass es an dieser gottverdammten Kreuzung noch immer keine Ampeln gab, die den Verkehr regelten. Wut über die Polizisten, die den Unfall einfach so kalt abtaten, als sei es das normalste auf der Welt und nichts Besonderes. Wut über die Ärzte, die nichts mehr tun konnten. Wut auf Gott und die Welt und die Tatsache, dass man ihm einfach seine Mutter nahm, seine beste Freundin.

Aber vor allem war John wütend auf seinen Vater. Hätte er nicht wieder seinen Willen durchsetzen wollen und von John verlangt, auf die dämliche Harvard Universität zu gehen, hätten sie sich nicht gestritten. Und hätten sie sich nicht gestritten, hätte seine Mutter auch nicht früher von ihrer Arbeit zurückkommen müssen, weil sie Angst hatte, der Streit könne eskalieren. Sie wäre niemals an dieser verdammten Kreuzung gewesen.
John konnte nicht mehr anders, er steigerte sich immer mehr in diese Gedanken und Haltung.

Einen Tag nach der Beerdigung; Dave wollte sich gar nicht beruhigen und das Zimmer seines Bruders nicht mehr verlassen, was diesen nicht wirklich störte, denn ganz alleine wollte er nicht sein und der Kälte seines Vaters wollte er ihn auch nicht überlassen, betrat Patrick das Zimmer und versuchte mit seinem Jüngsten zu sprechen. Er hatte tatsächlich mehrere Versuche gestartet, ihn und John zu trösten, doch John spürte nur diese immer stärker brodelnde Wut in sich, die ihn dann übermannte und lautstark aus ihm herausbrach.

-„Es ist alles deine Schuld! Wegen dir ist Mom tot!“-

Das und andere Worte hatte er seinem Vater an den Kopf geworfen. Er hielt sich nicht zurück, weder mit seinen Worten, noch mit der Lautstärke oder gar mit Fluchworten, für die er sich sonst saftige Strafen einhandeln würde. Sein Vater hatte anfangs noch versucht, auf ihn einzureden, ihn zu beruhigen, zu unterbrechen, aber er hatte schnell gemerkt, dass es keinen Sinn hatte. John hörte weder zu, noch ließ er sich unterbrechen.
Patrick glaubte, dass es Johns Art und vielleicht auch seine einzige Möglichkeit war, den Tod seiner Mutter richtig zu begreifen und ihn danach verarbeiten zu können.

Es war nicht so, dass Patrick nicht mehr zuhörte, dass er nicht darauf achtete, was John von sich gab, oder dass es einfach an ihm abprallte. Aber einiges konnte er nun mal nicht als bare Münze nehmen. Es waren John Eindrücke, seine Empfindungen und Emotionen, von denen er einfach nicht mehr wusste, wohin mit ihnen. Sie hatten die Überhand gewonnen und ihn anfangen lassen, zu trauern. Doch dann hatte John ihm einen Satz entgegen geschleudert, der ihn bis ins Mark getroffen hatte …

„Ja … ja, du hast da ganz schön… um dich geschlagen und ausgeteilt. Aber ich war ja auch nicht gerade besser. Die Situation war einfach … es kam so plötzlich und unerwartet … und das einzige, das… die einzige Person, die einen klaren Kopf behalten hätte, die Ruhe und Vernunft ausgestrahlt und den Frieden gewahrt hätte …“

„Ich weiß noch, was ich damals gesagt habe. Ich … ich war so verdammt wütend. Wütend auf dich, auf die Welt und … aber eines habe ich nie wirklich getan … Ich habe dich niemals gehasst.“

„Ich weiß … ich weiß. Mir ist es damals ähnlich gegangen. Später ist mir klar geworden, dass wir beide an diesem Tag schwer getroffen und verletzt waren und nicht wussten wohin mit unserer Verzweiflung und Wut. Wir beide haben etwas … jemanden verloren, der uns sehr am Herzen lag, jemanden den wir sehr geliebt haben. Und noch immer lieben … auf unterschiedliche Art. Ich habe damals wirklich geglaubt, dass es nur das Beste für dich sei, wenn du nach Harvard gehst. Aber ich kam wohl nie auf die Idee, dass du ein ganz anderer Charakter bist, dass du schon ganz genau wüsstest, wohin dich das Leben bringen sollte. Dass du alt und clever genug wärest, um deine eigene Ziele anzusteuern und sie mit deinem Dickschädel auch erreichen zu können …“, erklärte Patrick leise und unterstrich seine letzten Worte mit einem kleinen tippen gegen Johns Stirn. „Aber weißt du … es ist nicht so, dass ich gerne mit dir gestritten habe oder dass ich es immer wieder auf Konfrontationen angelegt hätte, aber … ich habe … es gab Momente, John, da habe ich dich sogar für deine Sturheit, dein Durchhaltevermögen und deinen Mut, mir entsprechend entgegen zu wirken, bewundert … ich wünschte, ich hätte meinem Vater so entgegen treten können …“

Diese Aussage ließ John verwundert und mit einer hochgezogenen Augenbraue zu seinem Vater sehen.

„Das ist eine lange Geschichte, aber der unseren schon ähnlich.“

„Ah ja? War Grand-Pa auch ein… ein sturer Dickschädel?“, fragte John mit einem winzig kleinen Schmunzeln.

„Milde ausgedrückt … ja.“

„Dann liegt´s wohl in der Familie.“

„Ja, ist vielleicht auch ´ne Gen-Sache“, meinte Patrick scherzhaft und lächelte daraufhin gemeinsam mit John, doch dann herrschte für einige Minuten Schweigen, bis Sheppard Senior wieder zum eigentlichen Thema zurückkehrte.

„Siehst du John, so schwer ist es gar nicht. Manchmal erscheint uns unser eigener Schatten nur so verdammt groß, dabei wissen wir gar nicht, wozu wir eigentlich in der Lage sind, wenn es darauf ankommt.“

Nickend stimmte John zu.

„Und dabei waren wir jetzt noch nicht einmal an diesen Maschinen angeschlossen. Du … schwebst nicht mehr in Lebensgefahr … und dass du mal wieder einfach so stiften wolltest, ignorieren wir einfach und sind stattdessen stolz darauf, dass wir in den vergangen Stunden und Tagen etwas erreicht haben, was wir in den Jahren zuvor nicht hinbekommen haben.“

„Ja. Nur frage ich mich … wie es weitergehen soll.“

„Na, wir sehen zu dass wir vom kalten Boden hochkommen, sonst fangen wir uns eine Erkältung ein und kommen doch nicht so schnell aus der Krankenstation“, erklärte Patrick und machte sich daran aufzustehen.

„Ich meinte etwas anderes, Dad.“

Seufzend hielt Patrick inne und lehnte sich stattdessen wieder gegen das Bett. Auch wenn sie sich endlich ausgesprochen hatten, was eine Menge Arbeit war und den beiden einiges abverlangt hatte, es würde niemals so sein, wie sie sich es vorstellten. Die Arbeit war noch nicht vorbei.

„Tja … ich denke, uns beiden ist klar, dass wir nicht einfach so tun können, als sei nichts gewesen. Dazu ist zu viel passiert und zu viel Zeit vergangen. Aber die vergangenen Stunden haben gezeigt, dass mir … und wenn du ehrlich bist, auch dir, kein Zacken aus der Krone bricht, wie deine Mutter es so schön formulierte, wenn wir einfach mal ehrlich sind und unseren Dickschädel nicht immer und unter allem Umständen durchsetzten müssen. Wir haben es geschafft, miteinander zu sprechen, ohne uns dabei an die Gurgel zu gehen und uns Dinge an den Kopf zu werfen, die… ich denke, das war ein guter Anfang. Ein guter Neuanfang. Vielleicht ist das der Grund, warum man mich und deine Mutter zurückschickte. Wer weiß. Aber ich wäre ein Narr, wenn ich diese seltene, zweite Chance nicht nutzen würde … also was mich betrifft … Ich kenne jetzt den Soldaten in meinen Sohn. Ich würde auch gerne den … privaten John neu kennenlernen.“

„Ich glaube, du würdest dich wundern“, erwiderte John.

„Hm, weißt du, so schnell haut mich nichts mehr um“, entgegnete Patrick sicher und musterte nur einige Momente das Gesicht seines Sohnes, bevor er den Arm ausstreckte und John die Hand anbot. „Was meinst du? … Kriegen wir das auch noch hin?“

John sah zuerst zu der dargebotenen Hand seines Vaters, überlegte einige Momente und sah ihm dann in die Augen, in denen er die Aufrichtigkeit und den echten Wunsch nach ein wenig Normalität zwischen Vater und Sohn erkannte. Ein Wunsch, den er auch verspürte. John schlug ein.

„Schön. Okay … jetzt sollten wir aber wirklich zusehen, dass wir wieder ins Bett kommen.“

„Dad? … Ich muss immer noch auf´s Klo und Hunger habe ich auch immer noch.“

Patrick sah hinter sich, griff dann durch das Gestänge des Bettgestells und reichte John das beinahe flaschenförmige Plastik, was diesen ungläubig drein blicken ließ.

„Keine Diskussion“, entfuhr es Sheppard Senior, bevor John erneut protestieren konnte, „du kümmerst dich darum und ich werde währenddessen nach etwas Essbarem suchen.“

Mürrisch kam John der Aufforderung nach und murmelte unverständliches vor sich her, während er begann an seiner Hose zu nesteln. Patrick hingegen hatte sich mit ächzen und stöhnen wieder aufraffen können und verließ das Krankenzimmer, nur um kurze Zeit später wieder grinsend hereinzukommen. John traute seinen Augen nicht, als er sah, was sein Vater anschleppte.

„Das ist nicht essbar, das ist … rollbar.“

„Tja, tut mir leid. Ich habe die ganze Krankenstation auf den Kopf gestellt. Wenn du dich nicht von Tabletten oder intravenöser Nahrung ernähren willst, schlage ich vor, wir sehen uns anderweitig um.“

„Und deswegen hast du … den mitgebracht“, schlussfolgerte John, als er den Rollstuhl mehr als skeptisch musterte.

„Wenn du glaubst, dass ich dich in die Kantine trage, hast du dich geschnitten. Du hast ein ganz schönes Gewicht. Außerdem … haben wir uns nicht darauf geeinigt, dass wir neu anfangen? So als Vater und Sohn? Ein Vater fährt zu Beginn seinen Sohn im Kinderwagen durch die Gegend. Da du dafür aber definitiv zu groß bist, du Langhans, fahre ich dich eben mit diesem Luxusschlitten.“

„Und du spielst den Chauffeur?“

„Stets zu Diensten, Miss Daisy.“

„Wie hast du den an Beckett vorbei geschleust?“

„War gar nicht so schwer. Der gute Doc schnarcht gerade seinen Schreibtisch auseinander. Ansonsten habe ich weit und breit niemanden gesehen, aber ich schätze wir sind auf dem Weg zur Kantine auf dich und deine Kenntnis über deine Leute angewiesen. Außerdem übertrage ich dir die Navigation.“

„Ich Glücklicher.“

Nachdem Patrick John in den Rollstuhl verfrachtet hatte, was natürlich mit murren, knurren, ächzen und stöhnen und einer Menge dummer Sprüche, über die die beiden diesmal mehr lachten, als je zuvor, von statten ging, schielten sie bald darauf um die Ecke aus dem Krankenzimmer.

„Scheint alles klar zu sein. Gib Gas. Hopp, Hopp, fahr miss Daisy zur Kantine.“

 ~~~///~~~

 

Alexa hatte noch Stunden nach dem Gespräch mit ihren Eltern am Pier gesessen. Eigentlich war es kein wirkliches Gespräch gewesen. Es glich eher einer Erzählung, bei der sie die Zuhörerin war. Nun lag sie schlaflos in ihrem Bett, starrte gegen die Zimmerdecke und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen und ihre Erinnerungen mit der Erzählung abzugleichen, oder sie zumindest einzuordnen. Doch es war schwer, wenn man sich ohnehin kaum an etwas erinnerte.

Immer wieder hatte sie versucht, die besagten Geschehnisse in ihrem Erinnerungsvermögen wachzurufen. Aber es tat sich nichts in ihrem Kopf. Bis auf die Tatsache, dass sich langsam aber sicher Kopfschmerzen breitzumachen schienen. Jedoch beschäftigte sie etwas anders noch viel mehr. Die plötzliche Gesprächigkeit ihrer Eltern und die Emotionen, die sie währenddessen von den beiden empfing. Sie spürte, welche Überwindung es die beiden kostete, darüber zu sprechen. Gerade dieses Gefühl hatte sie unwillentlich dazu gebracht, ihre mentalen Schilde noch etwas mehr zu senken und sich tiefer in die Gefühlswelt ihrer Eltern einzulassen. Hauptsächlich bei ihrer Mutter, denn ihrem Vater wäre es garantiert aufgefallen. Aus irgendeinem Grund konnte er es spüren, wenn sie versuchte in ihm zu lesen. Genau, wie Sheppard es konnte. Das war eigentlich schon verwirrend genug, aber die Tatsache, dass sie immer wieder den Eindruck hatte, dass an den Erzählungen ihrer Eltern irgendwas nicht zu stimmen schien, ließ sie gar nicht mehr los. Man hatte ihr zwar die Wahrheit gesagt und doch auch wieder nicht. Es waren nicht direkt Lügen … vielmehr hatte sie den Eindruck, dass es etwas zu fehlen schien. Das etwas ausgelassen wurde. Etwas, was sie wohl nach allem Anschein nach nicht erfahren sollte oder durfte. Wie so vieles im Moment.

Wieder stieg Frust in ihr auf, der sie dazu zwang, aufzustehen und das Quartier zu verlassen.

Eine Zeit lang wanderte Alexa durch die Gänge, blieb an dem einen oder anderen Balkon stehen und sah in die dunkle Nacht hinein. Doch an Schlaf war noch lange nicht zu denken. Stattdessen wanderte sie weiter durch die Flure und wunderte sich plötzlich über die Hast und Eile einiger Wachsoldaten, die ihr über den Weg liefen.

„Sergeant? Was ist denn los? Ist etwas passiert?“

„Nichts Schlimmes Commander. Wir suchen nur ein paar Leute. Sie sind aus der Krankenstation gebüchst. Entschuldigen Sie, aber wir müssen weiter“, entgegnete der junge Soldat und machte sich mit seinem Kameraden wieder auf die Suche.

Eine Ahnung machte sich in Alexa breit, doch so recht glauben wollte sie es nicht und erst recht wollte sie der Sache nicht noch nachgehen. Stattdessen spazierte sie weiter ziellos durch die Gänge von Atlantis.

~~~///~~~

„Also, euch fehlt es ja an nichts in dieser Galaxie. Es muss doch jedes Mal ein Segen sein, wenn die Deadalus – so heißt das Schiff doch, oder? … Na egal. Es muss doch wie an Feiertagen sein, wenn sie mit Nachschub und frischem Proviant von der Erde hier ankommt“, meinte Patrick und biss genüsslich in sein selbst gemachtes Sandwich.

„Ja. Aber im ersten Jahr sah es anders aus“, erwiderte John und grinste in sich hinein, wusste er doch, dass sein Vater gerade etwas aß, das nicht von der Erde kam.

„Erinnere mich … also, dieses Truthahnfleisch ist wirklich gut. Ich hoffe, man hat genug davon hergebracht“

„Dad?“

„Hm?“

„Das ist kein Truthahn.“

Augenblicklich hielt Patrick inne und sah unsicher zu seinem Sandwich, dann wieder zu seinem Sohn, der nun selbst beherzt in sein Sandwich biss.

„Ach nein? Schmeckt aber so und sieht auch so aus. Was ist es?“

„Malog oder Maloch oder so. Es ist ein Truthahn ähnliches Vieh, das es auf vielen Planeten gibt. Ronon jagt sie oft. Unsere Köche legen sie nach einem Rezept der Athosianer ein und dann muss das Fleisch noch eine Weile abhängen und zum Schluss hat man dann entweder einen schönen Braten oder etwas Aufschnitt für Sandwiches“, erklärte John, wobei er sich mühevoll das Grinsen verkneifen musste.

„Ah … ähm“, stotterte Patrick noch kurz vor sich hin, sah wieder skeptisch zu seinem Essen und zuckte dann schließlich doch mit den Schultern. „Was soll´s? Es schmeckt gut und ich habe Hunger, also … willst du auch noch was?“

Eifrig nickte John und überreichte seinem Vater den Teller, der sich daran machte, weitere Brote zu belegen, während er sich dem Kühlschrank widmete. Die Kantine und die Küche waren so spät in der Nacht verlassen, sodass sich die beiden nach Herzenslust dem Schlemmen und Genießen widmen konnten. Doch wenn John daran dachte, wie die Köche wohl reagierten, wenn sie in wenigen Stunden ihren Arbeitsplatz betraten und den Kühlschrank und die Vorratsräume geplündert vorfinden würden, wurde ihm etwas unwohl. Zum Glück traute ihm diesmal niemand zu, schon so fit zu sein, um sich mitten in der Nacht über einige Vorräte zu stürzen. Und dann auch noch mit seinem Vater … ein kleines Lächeln entstand in seinem Gesicht, das noch größer wurde, als er beim durchforsten des Kühlschranks noch etwas Feines fand.

„Dad, wie wäre es mit etwas zum runterspülen?“

„Keine schlechte Idee.“

„Der Maître du Atlantis empfiehlt einen 2007er Dom Pérignon.“

„Ui, das wäre doch was zur Feier des Tages. Aber das kannst du dir aus dem Kopf schlagen. Du bist mit Medikamenten vollgepumpt. Im Moment tut´s auch ein Wasser. Den Champagner verschieben wir auf ein andermal … Himmel Herrgott nochmal!“, entfuhr es Patrick, als er aus dem Augenwinkel jemanden hinter sich wahrnahm. Beinahe ließ er vor Schreck den Teller und die Flasche Champagner, die er John abnahm, fallen und starrte nun mit weit aufgerissen Augen auf die Person, die ihn mit ernsten Blicken musterte. Auch John hatte sich hastig und doch umständlich mit seinem Rollstuhl umdrehen können.

„Alexa?!“

„Als mir eben eine Wache in einem Flur davon berichtete, dass zwei Leute aus der Krankenstation entwicht sein sollen, war ich mir ziemlich sicher, dass Sie Colonel, einer davon seien. Aber dass Sie, Mister Sheppard, auch noch mitmachen, hätte ich nicht gedacht.“

„Ähm … tja … wissen Sie-„

„Wir hatten Hunger“, entgegnete John.

„Wir?“, fragte Patrick entrüstet, was John nur die Augen verdrehen ließ.

„Hunger? Und Sie konnten nicht mehr bis zum Morgen warten?“, wollte Alexa wissen und unterdrückte ein Schmunzeln über die Kabbelei zwischen Vater und Sohn.

„Sie hätten ihn mal hören sollen. Wie ein Kleinkind hat er gequengelt und sein Magen hörte sich an wie ein alter, knurrender Schäferhund. An Ruhe und Schlaf war da nicht zu denken. Sie wissen wohl nicht, wie unausstehlich John werden kann, wenn er richtig Hunger hat?“, erklärte Patrick, der sich langsam wieder von seinem Schreck erholte.

„Doch, ich weiß es. Er ist dann aber beileibe nicht so schlimm wie Doktor McKay.“

„Ich konnte es mir jedenfalls nicht mehr anhören … Sie werden uns doch nicht verraten, oder?“

Für einen Augenblick überlegte Alexa über Patricks Frage, doch im Grunde brachte sie es nicht übers Herz, die beiden verraten. Zudem wusste sie, dass sie in den vergangenen Tagen schon genug durchgemacht hatten, da mussten sie sich nicht noch der wütenden ärztlichen Meute stellen und sich eine Strafpredigt nach der anderen anhören. Außerdem schien es dem Colonel tatsächlich schon viel besser zu gehen, was sie einerseits überraschte, andererseits auch grübeln ließ. Es war wirklich erstaunlich, wie schnell sich der Mann nach Verletzungen oder Krankheiten erholen konnte.

„Nicht, wenn ich auch ein Sandwich bekommen kann.“

„Gerne. Ich bin heute der Koch. Was darf´s sein?“, fragte Patrick freudestrahlend.

„Jedenfalls kein Maloschg. Wie wäre es mit …“

„Käse. Mach ihr ein Käse-Sandwich. Sie isst kein Fleisch“, antwortete John und betrachtete Alexa wohlwissend, aber auch prüfend. Ihm entging die Müdigkeit und eine gewisse Bedrückung, die sich in ihren Augen widerspiegelten, nicht. „Warum sind Sie noch auf?“

„Konnte nicht schlafen.“

„Ist alles in Ordnung?“

„Alles bestens. Ich konnte nur nicht schlafen“, log Alexa, wohlwissend, dass John ihr nicht so recht glaubte.

Doch sie hatte keine Lust auf Erklärungen und die darauf folgenden Fragen, die sie ohnehin kaum beantworten konnte, da die meisten Erinnerungen immer noch fehlten. Ganz zu schweigen von der Wahrheit, die wohl verschwiegen wurde. Es würde nur noch mehr Verwirrung in der Frage und bei der Suche nach eben dieser Wahrheit stiften.

„Ich werde mal sehen, ob ich hier auch die Geheimzutat für mein berühmtes Käsesandwich finde. Ich bin gleich wieder da“, meinte Patrick, der glaubte, sich mit einem kleinen Vorwand kurz davon stehlen zu müssen, um seinen Sohn mit der jungen Frau einen Moment alleine lassen zu können.

„Ist irgendetwas passiert, als ich … Sie wissen doch, dass Sie jederzeit …“

„Es ist alles in Ordnung. Es ist nichts passiert. Sie haben Ronon doch gesagt, dass er mich nicht aus den Augen lassen soll, oder? Und wir sind hier auf Atlantis … was soll mir passieren?“, entgegnete Alexa leicht schmunzelnd.

„Ich dachte es kann nicht schaden, wenn jemand in der Nähe ist und aufpasst. Ich habe Ihnen versprochen, Sie zu beschützen. Nur wenn ich außer Gefecht gesetzt bin, sollte wenigstens Ronon Sie im Auge behalten … Sie wissen doch, dass ich ihm vertraue.“

„Ja, das weiß ich und … ich danke Ihnen auch für Ihre Sorge und …“

„Aber irgendwas bedrückt Sie.“

Für einen kurzen Moment, einen Moment der John wie eine halbe Ewigkeit vorkam, schwieg Alexa und starrte ihn regelrecht an. Unschlüssig, was sie nun tun sollte. Doch letztendlich blieb sie über ihre wahren Erkenntnisse verschwiegen.

„Ich sagte schon, es ist alles in Ordnung. Es ist nichts.“

„Alexa-„

„Colonel … bitte“, unterbrach Alexa und machte ihm somit deutlich, jetzt absolut nicht darüber reden zu wollen.

„Ha! Wusste ich es doch. Es war noch etwas in der Vorratskammer“, ertönte Patricks Stimme, der mit einigen Zutaten um die Ecke kam und sich sofort daran machte, weitere Sandwiches zu belegen.

Eine Weile aßen die drei schweigend, bis Alexa plötzlich alarmiert innehielt.

„Was ist? Schmeckt´s nicht?“, fragte der Vater perplex, wobei John etwas ernster dreinblickte.

„Es kommt jemand“, meinte die junge Antikerin.

„Woher wollen Sie das wissen? Ich kann jedenfalls niemanden hören, geschweige denn sehen.“

„Vertrauen Sie mir, wenn ich sage, dass da jemand kommt. Versteckt euch.“

„Was?“

„Versteckt euch!“, sprach Alexa eindringlicher und warf John einige Packungen verschiedenster Lebensmittel zu und ließ schnell das Geschirr in ein Fach unter der Arbeitsfläche verschwinden, während sich Patrick mit seinem Sohn schleunigst in die hintere Küche begab.

Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sich die Türen zur Kantine öffneten und Elisha hinein lugte.

„Alexa? Schatz, was machst du denn hier? Wieso bist du noch auf?“

„Konnte nicht schlafen.“

„Und dann vertreibst du dir deine Zeit in der Kantine?“

„Hatte Hunger. Was ist mit dir? Wieso bist du noch wach?“

„Man hat mich eben aus dem Bett geworfen und darüber informiert, dass zwei gewisse Herren aus der Krankenstation entwicht seien. Du kannst dir bestimmt denken, wen ich meine … du hast sie nicht zufällig gesehen?“

„Nein“, log Alexa und hoffte dabei inständig, dass ihre Mutter nun nicht noch auf die Idee käme, in die hintere kleine Küche zu gehen oder dass sich die beiden Ausbrecher selbst verrieten.

„Also bei Colonel Sheppard hatte ich ja schon damit gerechnet, nur nicht so schnell. Aber dass sein Vater ihn offensichtlich dabei unterstützt … wahrscheinlich hat der Colonel das von ihm.“

„Ich bin sicher, es geht ihnen bestimmt gut“, meinte Alexa und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

„Oh, da bin ich sicher. Alleine schon, wie sie es fertiggebracht haben … das musst du dir mal vorstellen. Sie haben sich an Doktor Beckett vorbeigeschlichen und einen Rollstuhl geschnappt. Wahrscheinlich schiebt Mister Sheppard den Colonel gerade irgendwo durch die Flure und sie gratulieren sich gegenseitig für ihre Genialität, einen schlafenden Arzt ausgetrickst zu haben.“

Alexa konnte sich gerade noch zusammenreißen, um nicht loszulachen, doch es gelang ihr nicht, ein kleines Schmunzeln zu verbergen. Vor allem die Vorstellung, wie die beiden sich nun in der kleinen Küche tatsächlich dafür gegenseitig auf die Schulter klopften und über ihren kleinen Ausbruch lachten, zwang sie, sich erneut auf die Zunge zu beißen.

„Na ja. Es sind einige Soldaten unterwegs, die sie suchen. Ich werde mich wieder hinlegen. Dein Vater ist auch schon ganz … nun, du weißt, dass er es nicht ausstehen kann, wenn man ihn wegen Belanglosem aus dem Bett holt.“

„Ich erinnere mich … vage. Ich nehme an, dass Vater die beiden das auch wissen lässt“ meinte Alexa, wusste dabei jedoch genau, dass John und sein Vater das Gespräch mithören konnten.

Wieder durfte Alexa sich nicht anmerken lassen, wie viel Spaß es ihr diesmal bereitete, die beiden Sheppards in ihrem Versteck nervös werden zu lassen. Sie erinnerte sich zwar nur bruchstückhaft an seltene Gelegenheiten, in der sie ihren Vater dabei hatte beobachten können, wie er die eine oder andere Person tadelte … wobei … Tadel konnte man das eigentlich schon nicht mehr nennen. Er hat sie zusammengefaltet, oder ihnen den Marsch geblasen, wie die Menschen es wohl nennen würden.

„Oh ja. Davon kannst du ausgehen. Ich habe mich schon gefragt, wie lange es wohl dauern wird, bis die Menschen von der Erde erleben werden, wie die Wände beben, wenn dein Vater erzürnt ist. Jetzt ist es wohl so weit. Und die Doktoren Keller und Beckett sind auch nicht gerade amüsiert darüber. Ganz zu schweigen von Misses Sheppard. Ich hoffe die beiden besinnen sich und kehren schnellstens und freiwillig wieder zurück. Dann können sie dem gröbsten Ärger vielleicht noch entgehen.“

„Auch deinem Narkoseinjektor?“, fragte Alexa schelmisch lächelnd, wobei sich ihre Schadenfreude immer weiter steigerte.

„Na, ich weiß nicht. Das kommt darauf an, welche Gründe man mir für diese … Wahnsinnsidee nennt. Also, bleib nicht mehr so lange auf, ja? Gute Nacht.“

Alexa nickte nur und sah ihrer Mutter hinterher, wie diese die Kantine wieder verließ. Sie ließ noch einige Momente verstreichen, bis sie sich sicher war, dass sie weit genug weg und auch sonst niemand mehr in der Nähe war.

„Sie ist weg. Sie können wieder aus ihrem Versteck kommen.“

Vorsichtig lugten John und Patrick um die Ecke, bevor sie wieder in die Hauptküche, die an die Kantine angrenzte, zurückkamen und etwas verlegen aus der Wäsche guckten.

„Die Wände werden beben?“, fragte John mit leichtem Zweifel.

„Ja, das ist zu erwarten und ich freue mich schon darauf“, erwiderte Alexa lächelnd.

„Sie sind ja gar nicht schadenfroh, was?“, gab John zurück.

„Was erwarten Sie, Colonel? Vor Kurzem haben Sie noch in Koma gelegen, haben mit dem Tod gerungen, haben eine böse Wunde am Bein, sind zum Teil gelähmt und nun verschwinden Sie einfach sang- und klanglos aus der Krankenstation und halten Ärzte, Kollegen und Freunde auf Trab.“

„Ich bin schon mehr als einmal aus der Krankenstation … abgehauen.“

„Jetzt kommt´s raus“, kommentierte Patrick und nahm John einige Lebensmittel ab, die sie nicht mehr rechtzeitig verstecken konnten.

„Da stand es aber noch nie so schlimm um Sie! Und Sie?“, wandte sich Alexa an Sheppard Senior. „Sie helfen ihm noch dabei. Meine Mutter hat Recht. Damit wäre wohl geklärt, woher er das hat und … ach, was rege ich mich eigentlich auf? Kommen Sie. Ich bringe Sie zurück zur Krankenstation.“

„Ich dachte, Sie würden uns nicht verraten“, meinte Patrick ertappt.

„Werde ich auch nicht. Ich kümmere mich darum, dass Sie ungesehen und mit heiler Haut wieder in Ihre Betten kommen. Alles andere oder was danach passiert … ich weiß von nichts.“

~~~///~~~

„Warten Sie“, bat Alexa, als sie mit den beiden Herren ein kurzes Stück durch die Flure schleichen konnte und nun kurz vor der Krankenstation ankam, aber die Präsenz einiger Personen erspüren konnte. Tatsächlich traf sie wieder auf den Sergeant, von dem sie zuvor die Information über das Verschwinden der beiden Sheppards erhalten hatte.

„Commander. Immer noch auf?“

„Ja, die beiden können einen ganz schön auf Trab halten, was? Ich glaube, ich habe sie am Balkon am Südwestpier gesehen. Gehen Sie doch mal nachsehen und beeilen Sie sich, nicht dass sie schon wieder verschwunden sind, wenn sie dort ankommen.“

Patrick und John haben gerade noch so mitbekommen, wohin Alexa den Sergeant und seinen Kollegen dirigiert hatte und somit galt es, sich schnellstmöglich zu verstecken.

In eine andere Richtung hatte sie die beiden Soldaten nicht locken können, denn von dort empfing sie ebenfalls die Anwesenheit einiger Personen, die die Sheppards bestimmt hätten sehen müssen, hätte Alexas Verdacht der Wahrheit entsprochen. Dann wäre alles aufgeflogen und sie hinge somit auch mit drin und müsste sich ebenfalls einer gewaltigen miesen Laune, sowie einer Strafpredigt des Generals stellen.

John gab seinem Vater die Richtung vor, die sie beide in eine dunkle Nische des Ganges führte, sodass die vorbeieilenden Soldaten sie nicht erblicken konnten.

„Kommen Sie“, schreckte sie die Stimme der Antikerin auf, die sie kurz darauf in die verlassene Krankenstation begleitete.

„Gut, dass niemand hier ist. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie die Pfleger und Ärzte auch noch von hier weglocken hätten können“, japste Patrick, der seinem Sohn aus dem Rollstuhl half.

„Ich auch nicht. Wahrscheinlich sind alle auf der Suche nach Ihnen, da sie sich nicht vorstellen können, dass Sie freiwillig zurückkommen“, entgegnete Alexa, die den Rollstuhl aus dem Weg bugsierte.

„Na ja, so ganz freiwillig war es ja auch nicht“, murmelte John vor sich her.

„Sie sollten es lieber so sehen und später auch so darstellen. Glauben Sie mir, das sichert Ihr Überleben in Gegenwart meines Vaters.“

„Wird er wirklich so sauer reagieren, wie Sie uns in der Kantine weiß machen wollten?“, fragte Patrick, der sich nun ebenfalls wieder zu Bett begab. Doch Alexa lächelte nur, schwieg kurz und verabschiedete sich dann mit einem verschmitzten Lächeln.

„Gute Nacht meine Herren.“

„Alexa“, rief John sie noch einmal, worauf sie sich nochmal zu ihm drehte. „Danke. Ich … wir schulden Ihnen was.“

„Wofür? Ich weiß doch von nichts.“ Und somit verließ Alexa die Krankenstation.

„Er wird doch nicht wirklich sauer sein?“

„Ich habe keine Ahnung, Dad. Aber wenn sie so verschmitzt lächelt … kann es alles bedeuten.“

„Apropos bedeuten. Was ist das zwischen dir und ihr?“

„Oh nein, Dad! Dad! Fang du bitte nicht auch noch damit an!“

„Was …? Was habe ich denn jetzt schon wieder gesagt?“

„Zwischen ihr und mir ist nichts! Da läuft absolut nichts! Ich verstehe einfach nicht, was ihr alle habt. Erst Mom, dann Dave, jetzt du … Das ist ja nicht auszuhalten.“

„Ich meinte doch nur … ich fragte deshalb, weil zwischen euch beiden in der Kantine so ein merkwürdiger Moment herrschte. Ich war zwar nicht dabei, aber es war nicht zu überhören und zu übersehen auch nicht, dass sie irgendwas bedrückt. Und du … du scheinst dir auch gewisse Sorgen um sie zu machen. Abgesehen von der Tatsache, dass du sie kaum aus den Augen oder sie bewachen lässt. Mir ist nicht entgangen, wie du vor der ganzen Sache diesen Ronon angewiesen hast, in ihrer Nähe zu bleiben. Irgendwas geht doch hier vor.“

„Also, ich glaube mit deiner Neugier übertriffst du Mom um Längen … es ist kompliziert.“

„Und vermutlich auch gefährlich, hm? Komm mir bitte nicht wieder mit diesem kompliziert. Ich dachte wir hätten das hinter uns? Und zweitens: wir haben mehr als genug Zeit und keinen Schlaf, also …“

„Irgendjemand ist hinter ihr her …“, begann John nach kurzem Zögern zu erzählen.

~~~///~~~

„Hat man den Colonel gefunden?“, fragte Tristanius, als Elisha das Schlafzimmer betrat und sich wieder hinlegen wollte.

„Nein, noch nicht. Aber ich habe da so einen Verdacht, nur war ich nicht in Stimmung, dem nach zu gehen.“

„Hm. Ich denke, ich werde mir diesen Jungspund und seine Soldaten von der Erde wirklich mal zur Brust nehmen müssen. Wenn Sheppard seine Gesundheit und sein Leben riskiert, ist das eine Sache. Vor allem ist es seine Sache. Aber wenn man mich wegen eines Soldaten und seinem Vater, die glauben, aus der Krankenstation flüchten zu müssen, mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißt, dann muss ich wohl mal ein ernstes Wörtchen mit einigen Personen sprechen müssen.“

Elisha lächelte. Erst vor Kurzem hatte sie noch mit Alexa darüber gesprochen. Sie kannte Ihren Mann eben in und auswendig und wusste, wie er dachte. Kaum dass sie sich in seine Arme schmiegte, ertönte ein kleines Piepsen.

„Was ist das?“

„Die Tests. Sie sind fertig“, erwiderte Elisha und stand nach einem kurzen Blick zu Tristanius wieder auf. Ihr war klar, dass er es wohl nicht bis zum Morgen aushalten würde und sie war nicht minder neugierig.

„Und?“

Elisha las die Ergebnisse auf dem kleinen Bildschirm und antwortete mit einem stummen Schlucken. Stattdessen überreichte sie den kleinen Tablett-PC weiter an ihren Mann, der zunächst ausdruckslos das Ergebnis studierte.

„Und das ist sicher? Bist du dir wirklich sicher, dass das stimmt?“

„Ich habe zwei Tests simultan laufen lassen, wie du weißt. Es besteht kein Zweifel … ich denke, du wirst mit ihm wohl mehr zu bereden haben, als deine Nachtruhe.“

Epilog

-Ich bin fast dankbar für die dichten Wolken und Nebelschwaden, die das Schlachtfeld im Zwielicht der Morgendämmerung in ein unwirkliches Licht tauchen. Es reicht schon aus, die Flammen und den dicken, dunklen Rauch zu sehen.

So fällt es mir auch schwer, zu atmen. Ich will gar nicht wissen, was ich da rieche, denn schon jetzt drückt Beklemmung meine Brust zusammen. Ich möchte husten und würgen, aber ich reiße mich zusammen. Genau so wie ich jetzt meine Ohren vor dem Schreien, dem Winseln verschließe, das von überall her zu hören ist. Ich will nichts von dem Schmerz und dem Leid mitbekommen, dass sich wie die scharfe Klinge eines Dolches in mein Herz drängt und meine Seele zerschneidet. Nein, ich will die Menschen nicht sehen, die am Boden liegen, sich in Qual winden oder bereits in die Agonie des Todes verfallen sind. Das Blut, das rote Lachen auf dem Boden bildet, sein Geruch, der metallisch in meiner Nase beißt.

Ich habe nur ein Ziel.

Irgendwo dort draußen muss er sein. Ich wende meinen Blick ab, als jemand seine Hand nach mir ausstreckt. Sollen doch die anderen helfen …

Jetzt und hier muss ich ihn finden, sonst finde ich keine Ruhe. Ich verdränge die düsteren Vorahnungen.

„Nein, du bist nicht tot! Du bist irgendwo da draußen und du wartest auf mich. Ich bin auf dem Weg. Ich werde dich finden. Halte durch!“, murmele ich immer und immer wieder und verdränge die boshaften Stimmen in meinem Inneren, die mir anderes zuflüstern wollen.

Ich klammere mich an mein Mantra, meine einzige, meine letzte Hoffnung. Das darf nicht sein. Es darf einfach nicht sein. Ich kämpfe mich weiter durch das Labyrinth aus rauchenden Trümmern, geborstenem Metall und zerteilten Körpern. Ich weiche Händen aus, die nach mir greifen wollen, schüttele sie grob ab. Ignoriere das Flehen nach Gnade, nach Erlösung. Wende den Blick von den blutigen Leibern ab, den Überresten dessen, was einmal lebendig war, atmete und lachte.

Ich weiche von Waffenbeschuss schwarz gefärbten Ruinen aus, halte mir den Arm vor den Mund, als ich durch die dichten Schwaden eines noch immer schwelenden Feuers muss. Weiche der Zerstörung aus, die der Krieg mit sich gebracht hat. Es ist mir jetzt egal, dass eine ganze Zivilisation in diesem Augenblicken stirbt. Ich will nur noch zu einem, dem Mann, dem mein Herz gehört. Es ist mir egal, ob mein Körper gegen die Belastung protestiert, jeder Atemzug Schmerzen bereitet.

Wieder macht mein Herz einen Satz, als ich glaube ihn gefunden zu haben. Ich überwinde eine Mauer aus Schutt und schreie enttäuscht auf, als sich der reglose Körper als jemand anderer erweist. Und doch fällt mir gleichzeitig ein Stein vom Herzen, als ich erkenne, dass der Tote ein anderer ist.

Noch besteht Hoffnung, noch … ich erinnere mich an das Peilgerät in meiner Tasche, das sein Notsignal empfangen hat. Und da ist es klar und deutlich – näher als je zuvor …

Ich steige weiter über Trümmer, Verletzte und Tote und komme dem Signal immer näher. In der fernen Dunkelheit kann ich kaum etwas erkennen, doch ich gebe nicht auf, bis … bis ich endlich sein Rufen höre und seine Statur auf einem kleinen Hügel zu erkennen glaube. Doch er liegt am Boden und sein Rufen ist nun nicht mehr, als ein Stöhnen, ein Wimmern. Das kann doch nicht sein! Das darf nicht sein!

„Darius …“

Ich beuge mich zu ihm herunter und drehe ihn langsam zu mir, doch sein Anblick … Sein Gesicht ist blutüberströmt und vor Schmerz verzerrt. Sein ganzer Körper erbebt und erzittert, ist von dutzenden Wunden übersät. Das Blut quillt durch seine Uniform und tropft zu Boden. Sein Blick ist unstet.

„Darius … Darius … Nein! … Was ist … was ist mit dir geschehen? … Das darf nicht sein.“

Seine Stimme ist brüchig, nicht mehr als ein wispern. „Alexa? … Alexa?“

„Ich bin hier … es wird alles gut. Wir bringen dich zurück. Du wirst wieder gesund … alles wird wieder gut.“

Ich versuche, Ruhe zu bewahren und mir nichts anmerken zu lassen. Doch sein Anblick schockiert mich und lässt mich kaum einen klaren Gedanken fassen. Ich fühle seine Schmerzen, als seien es die meinen. Meine Angst droht mich zu übermannen und meine Sorge steigt ins unermessliche.

„Du … musst weg. Schnell! Du musst dich … in Sicherheit bringen.“

„Schhh, es ist alles gut, Darius. Es ist schon gut. Mach dir keine Sorgen um mich. Wir bringen dich zurück nach Atlantis. Mutter wird dich heilen und alles ist wieder gut.“

„Nein … es ist zu spät … es ist …“

„Nein, nein, was redest du da? Du wirst wieder gesund und in ein paar Tagen … haben wir es vergessen und werden Mann und Frau. Du wirst sehen … du wirst wieder gesund.“

Ich sehe wie die Hände meiner Mutter seinen Körper abtasten und die blutenden Wunden verbinden. Ich sehe die Anspannung und Sorge in ihrem Gesicht und das Entsetzen in ihren Augen. Wieder sehe ich zu Darius, berühre sein Gesicht und bette seinen Kopf auf meinem Schoß.

„Mann und Frau … nichts … würde mich geehrter fühlen lassen … und glücklicher machen … als dich … zu meiner Frau zu machen …“

„Dann sprich nicht weiter. Schone dich. Auf Atlantis wirst du dich erholen können und dann, in ein paar Tagen heiraten wir.“

„Mea Amaris … te amo … aeterno …”

Seine Stimme versagt, sein Atem erstirbt, sein Blick wird leer.

„Darius … Darius? … Nein! Darius! … Darius! Ich flehe dich an … Bleib bei mir … Darius! Nein! Nein!“-

„Nein!“

Schreiend erwachte Alexa aus einem der bisher intensivsten Träume und doch wusste sie sofort, dass es mehr war.

Das vergangene Gespräch mit ihren Eltern hatte nun Form angenommen. Es war zur Erinnerung geworden.

Auch wenn die Bilder allmählich verblassten, so blieben doch die Gefühle.

Panisch schnappte sie immer wieder nach Luft, Tränen bahnten sich einen Weg über ihre Wangen und eine undefinierbare Übelkeit zwang sie, ins Badezimmer zu stürzen und sich zu übergeben. Immer wieder würgte sie und doch schien ihre Kehle wie zugeschnürt.

Ein stürmisches Summen und hektisches Hämmern an der Tür ließen Elisha und Tristanius aus dem Schlaf schrecken.

„Was ist denn … jetzt reicht es mir! Das ist schon das zweite Mal! Na warte Bürschchen“, schimpfte Tristanius und stapfte wütend zur Tür. „Dir werde ich schon noch Manieren …“

Ihm verschlug es die Sprache, als sich die Türen öffneten und er in das verweinte Gesicht seiner vollkommen aufgelösten Tochter blickte.

Immer wieder japste sie nach Luft, schniefte, schluckte und brachte nur mit Mühe ein krächzen hervor, bevor sie völlig in sich zusammenbrach.

„Darius …“

 

The End

Shahar Jones

Meine erste Fanfic schrieb ich über Stargate Atlantis. Mittlerweile mixe ich meine Storys auch gerne mal mit anderen Fandoms, wie dem Sentinel. Aber im Großen und Ganzen hänge ich immer noch in der Pegasus-Galaxie rum. Allerdings liebe ich es auch, die Leute zu überraschen ;)

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